Entscheidungsstichwort (Thema)
Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses aufgrund betriebsbedingter Kündigung durch eine Low-Cpst-Airline. Analyse des Vertragsgegenstandes bei der Abgrenzung eines Dienstleistungsvertrags in der Form eines sog. gemischten Vertrages von Arbeitnehmerüberlassung
Leitsatz (amtlich)
1. Für die Abgrenzung eines Dienstleistungsvertrags in der Form eines sog. gemischten Vertrages von Arbeitnehmerüberlassung ist die Analyse des Vertragsgegenstandes maßgeblich, so wie er sich in vertraglich vereinbarter und tatsächlicher Hinsicht darstellt und den sich daraus ergebenden Folgen für die Eingliederung und Weisungsbefugnis oder Aufsicht und Leitung bei dem Vertragspartner, der Gerät und Personal zur Verfügung gestellt bekommt.
2. Bei einer Wet-Lease-Vereinbarung in der Form des sog. ACMIO-Vertrags im Bereich der Luftfahrt handelt es sich um einen Dienstleistungsvertrag und nicht um Arbeitnehmerüberlassung.
3. Zur Abgrenzung zwischen zulässiger Vertragsgestaltung und Gestaltungsmissbrauch zur Umgehung von Arbeitnehmerüberlassung (hier verneint). 4. Zur Frage der ordnungsgemäßen Konsultation gemäß § 17 Abs. 2 KSchG.
Normenkette
GR-Charta EU Art. 16; EGV 1008/2008 Art. 1, 2 Nr. 25, Art. 13 Abs. 1; EU-VO 965/2012 Anh. III "Anforderungen an Organisation bezüglich des Flugbetriebs (Teil-ORO)" ORO.GEN.110 Buchst. a); RL 2008/104 EG Art. 3 Abs. 1, Art. 5 Abs. 5; RL 96/71/EG Art. 1 Abs. 3; AÜG § 1 Abs. 1, § 9 Abs. 1, § 10 Abs. 1; BetrVG § 102 Abs. 1; BGB §§ 133, 157, 613a Abs. 1; HGB § 557; InsO § 113; KSchG § 1 Abs. 2, § 17 Abs. 2; ZPO § 253 Abs. 2, § 256 Abs. 1; AÜG §§ 9-10
Verfahrensgang
ArbG Düsseldorf (Entscheidung vom 26.11.2020; Aktenzeichen 10 Ca 6101/20) |
Nachgehend
Tenor
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 26.11.2020 - Az. 10 Ca 6101/20 - wird zurückgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin und der Beklagte zu 1) streiten über die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses aufgrund betriebsbedingter Kündigung, über die Weiterbeschäftigung der Klägerin sowie hilfsweise über das Bestehen von Nachteilsausgleichsansprüchen. Mit der Beklagten zu 2) streitet die Klägerin darüber, ob zwischen ihnen ein Arbeitsverhältnis besteht.
Der Beklagte zu 1) ist der Insolvenzverwalter über das Vermögen der Y. mbH (im Folgenden: Schuldnerin). Die Beklagte zu 2) ist eine Low-Cost-Airline der G. mit einer Flotte von aktuell 139 Flugzeugen. Ihr Sitz ist Düsseldorf und sie beschäftigt ca. 9.000 Mitarbeiter.
Die am 30.07.1964 geborene Klägerin ist seit dem 25.05.2012 bei der Schuldnerin als Kapitänin zu einem durchschnittlichen Bruttomonatsverdienst von zuletzt EUR 7.314,51 € beschäftigt. Sie war zuletzt am Flughafen Berlin-Tegel stationiert und wurde auf dem Muster Dash 8 Q400 eingesetzt.
Die Schuldnerin ist eine deutsche Fluggesellschaft, die im Jahr 1980 von Herrn Q. gegründet wurde, der zugleich Inhaber des einzigen Geschäftsanteils an der Schuldnerin war. Die Geschäftsführung der Schuldnerin war in Düsseldorf ansässig. Dies galt auch für die Personalabteilung, die bundesweit für die Arbeitnehmer der Schuldnerin zuständig war. Bodenmitarbeiter waren in Düsseldorf und Berlin tätig; das fliegende Personal nahm die Arbeit von den Flughäfen in Düsseldorf, Berlin-Tegel, Stuttgart und Nürnberg auf. Über eigene Räumlichkeiten für das fliegende Personal verfügte die Schuldnerin an diesen Flughäfen nicht. Die Schuldnerin trat bis zuletzt nicht eigenständig am Markt als Anbieterin von Flugreisen gegenüber Endkunden auf, sondern leaste Flugzeuge im Rahmen eines sog. Dry-Lease von Dritten und verleaste diese Flugzeuge mit eigenen Arbeitnehmern im Rahmen eines sog. Wet-Lease an andere Fluggesellschaften, damit diese die Flugzeuge zusammen mit den Arbeitnehmern der Schuldnerin zur Durchführung von (Linien-) Passagierflügen einsetzen konnten. Hierzu wurden auf Basis von sogenannten KL.-Verträgen (KL. = Aircraft, Crew, Maintenance, Insurance, Overhead) die Flugzeuge der Schuldnerin nebst Personal zu festen Sätzen auf Zeitbasis (in der Regel sogenannte Blockstunden) geleast. Die Schuldnerin beschäftigte zuletzt insgesamt ca. 348 Arbeitnehmer in den Bereichen Boden, Kabine und Cockpit. Für das Boden- und Kabinenpersonal waren keine Arbeitnehmervertretungen gebildet. Für die Arbeitnehmer des Bereichs Cockpit war gemäß § 117 Abs. 2 Satz 1 BetrVG durch den Tarifvertrag Personalvertretung Nr. 1 vom 05./10.02.2014 (Bl. 15 - 58, 62-66 der Gerichtsakte, im Folgenden: TV PV) die Personalvertretung Cockpit errichtet worden.
Im TV PV heißt es auszugsweise:
"§ 74
Mitbestimmung bei Kündigungen
(1) Die Personalvertretung ist vor jeder Kündigung zu hören. Die Z. hat die Gründe für die Kündigung mitzuteilen. Eine ohne Anhörung der Personalvertretung ausgesprochene Kündigung ist unwirksam.
(2) Hat die Personalvertretung gegen eine ordentliche Kündigung Bedenken, so hat si...