Entscheidungsstichwort (Thema)

Schwerbehinderter Mensch, außerordentliche Kündigung, Zustimmung des Integrationsamtes, mündliche Mitteilung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der Arbeitgeber kann eine außerordentliche Kündigung unter Gewährung einer Auslauffrist bereits dann gegenüber einem schwerbehinderten Menschen erklären, wenn ihm das Integrationsamt mündlich oder fernmündlich seine Zustimmungsentscheidung mitgeteilt hat.

2. Dies setzt allerdings voraus, dass das Integrationsamt die förmliche schriftliche Entscheidung getroffen hat, die nur noch zugestellt werden muss; die mündliche Weitergabe einer noch nicht schriftlich vorliegenden Entscheidung reicht nicht aus.

 

Normenkette

SGB IV §§ 85, 88, 91

 

Verfahrensgang

ArbG Essen (Urteil vom 24.09.2003; Aktenzeichen 5 Ca 2162/03)

 

Tenor

1) Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Essen vom 24.09.2003 – 5 Ca 2162/03 – wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

2) Die Revision wird für die Beklagte zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Rechtswirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung der Beklagten.

Die am 07.08.1962 geborene Klägerin ist seit dem 16.11.1987 bei der Beklagten als Angestellte beschäftigt. Sie ist schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung von 95.

Grundlage des Arbeitsverhältnisses der Parteien bildet derzeit ein Vertrag vom 05.03.1991 (Bl. 79 d. A.), wonach sich ihr Arbeitsverhältnis nach den Bestimmungen des Bundesangestelltentarifvertrages (BAT) in der jeweils geltenden Fassung richtet. Die Vergütung der Klägerin beträgt 2.199,– EUR brutto pro Monat. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden die Bestimmungen des Kündigungsschutzgesetzes Anwendung.

Mit Schreiben vom 03.09.2002 beantragte die Beklagte beim zuständigen Integrationsamt des Landschaftsverbands Rheinland in Köln die Zustimmung zur ordentlichen Kündigung der Klägerin und berief sich hierbei auf eingetretene Störungen des Betriebsfriedens.

Am 29.10.2002 trafen die Parteien im Rahmen einer Güteverhandlung vor dem Integrationsamt folgende Feststellungen:

  1. Das Verfahren zur ordentlichen Kündigung wird nicht fortgeführt, es erledigt sich durch Fristablauf, da am 16.11.2002 die Unkündbarkeit eintritt.
  2. Frau W. wird bei einer persönlichen Vorsprache bei Herrn C. am 30.11.2002 den Namen und die Anschrift der sie behandelnden Psychologin bekannt geben und eine Erklärung zur Entbindung von der Schweigepflicht unterzeichnen.
  3. Die Verwaltung versucht einen geeigneten Einsatz für Frau W. zu finden.
  4. Frau W. nimmt Kontakt zum BBD auf.
  5. Herr C. prüft die Fördermöglichkeiten durch das Integrationsamt.
  6. Sobald die gesundheitliche Frage eindeutig geklärt ist, entscheidet 11-2 erneut.

Mit Wirkung vom 07.01.2003 wurde die Klägerin aufgrund des oben dargestellten Vergleichs zum Schulverwaltungsamt versetzt und als Schulsekretärin weiterbeschäftigt.

Unter dem 02.04.2003 erhielt das Amt für Zentrale Dienste der Beklagten Informationen über eine Internetseite, die unter dem Titel „Mobbing gegen Schwerbehinderte in Essen” ausführliche Berichte über bestimmte Zustände im Verwaltungsbereich der Beklagten enthielt. Diese Berichte gingen auf eine Darstellung der Klägerin aus dem Monat August 2002 zurück.

Nach Kenntnis der Beklagten von der Internetseite forderte sie die Klägerin mit Schreiben vom 04.04.2003 zur Stellungnahme auf. Die Klägerin erschien daraufhin am selben Tag beim Schulverwaltungsamt der Beklagten und erklärte unter anderem, dass sie die Darstellung nicht ins Internet gestellt oder veröffentlicht hätte (vgl. hierzu das Protokoll über das Gespräch am 04.04.2003 Bl. 95 d. A.).

Die weiteren Einzelheiten zu Art und Inhalt der zwischen den Parteien in diesem Zusammenhang geführten Gespräche, zur Frage der Verantwortlichkeit der Klägerin hinsichtlich der Berichte im Internet und hinsichtlich ihrer Bemühungen, die weitere Veröffentlichung der Berichte zu stoppen, sind zwischen den Parteien streitig.

Mit Schreiben vom 07.04.2003 informierte die Beklagte das Integrationsamt Köln über den bis dahin festgestellten Sachverhalt und bat um Zustimmung zur außerordentlichen fristlosen Kündigung der Klägerin (Bl. 99 ff. d. A.). Mit Schreiben vom gleichen Datum wurden der bei der Beklagten bestehende Personalrat sowie die Gleichstellungsstelle, die Schwerbehindertenvertretung und der Beauftragte des Arbeitgebers in Angelegenheiten schwerbehinderter Menschen unterrichtet bzw. um Stellungnahme gebeten.

Am 14.04.2003 fand alsdann vor dem Integrationsamt ein gütlicher Verhandlungstermin statt, an dem seitens der Beklagten unter anderem die erste Sachbearbeiterin „Arbeits- und Tarifrecht” Frau C., und seitens des Integrationsamtes Frau X. teilnahmen. In der Sitzung wurde zunächst folgende Einigung getroffen:

  1. Der Antrag auf Zustimmung zur außerordentlichen fristlosen Kündigung wird umgewandelt in einen Antrag auf außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist zum 31.12.2003.
  2. Wenn sich herausstellt, dass Frau V. die Veröffentlichung nicht verschuldet hat, wird die Kündigung zurückgenommen. Zu diesem Zwecke s...

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