Entscheidungsstichwort (Thema)
Anfechtung der Betriebsratswahl durch den Arbeitgeber
Leitsatz (redaktionell)
1. Unterschreitet die Anzahl der Wahlbewerber die Anzahl der gemäß § 9 BetrVG zu wählenden Betriebsratsmitglieder, liegt darin kein Verstoß gegen wesentliche Wahlvorschriften; § 11 BetrVG istentsprechend anzuwenden.
2. Reicht die analoge Anwendung des § 11 BetrVG, die dazu führt, dass auf die nächstniedrigere Stufe zurückzugehen ist, - wie hier - jedoch nicht aus, weil die Anzahl der benötigten Wahlbewerber - hier mindestens fünf - dennoch nicht erreicht würde, ist entsprechend dem Sinn und Zweck des § 11 BetrVG diese Norm erneut anzuwenden, sodass auf die dann folgende Stufe herab zu gehen ist, bis die Zahl der wählbaren Arbeitnehmer - bzw. hier der Wahlbewerber - ausreicht.
Normenkette
BetrVG § 19 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Hamburg (Entscheidung vom 04.10.2022; Aktenzeichen 12 BV 7/22) |
Nachgehend
Tenor
Die Beschwerde der Arbeitgeberin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Hamburg vom 04. Oktober 2022 - 12 BV 7/22 - wird zurückgewiesen.
Die Rechtsbeschwerde gegen die Abweisung der Anträge zu 1. und 2. wird für die Arbeitgeberin zugelassen und im Übrigen nicht zugelassen.
Gründe
A.
Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit der Betriebsratswahl vom 10. Mai 2022 und zweitinstanzlich außerdem über die Auflösung des gewählten Betriebsrats.
Die antragstellende Arbeitgeberin ist ein Unternehmen aus dem Bereich der Gesundheitsvorsorge. Sie betreibt in Hamburg ein Krankenhaus und beschäftigt dort etwa 170 Arbeitnehmer. Der Beteiligte zu 2. ist der bei ihr am 10. Mai 2022 gewählte Betriebsrat.
Mit Wahlausschreiben vom 05. Februar 2022, ausgehängt am 14. März 2022 (Anlage ASt 1 - Bl. 7 d.A.), kündigte der Wahlvorstand die Durchführung einer Betriebsratswahl am 10. Mai 2022 an. In dem Wahlausschreiben heißt es, dass der Betriebsrat aus sieben Mitgliedern zu bestehen habe. Als Wahlbewerber kandidierten aber nur drei Arbeitnehmerinnen.
Mit E-Mail vom 28. April 2022 (Anlage ASt 3 - Bl. 8 d.A.) forderte die Arbeitgeberin den Wahlvorstand auf, die Betriebsratswahl abzubrechen, weil die erforderliche Mindestzahl an Wahlbewerbern um zwei Stufen unterschritten werde und in dieser Größe ein Betriebsrat nicht rechtskonform gewählt werden könne.
Mit Schreiben vom 30. April 2022 (Anlage ASt 4 - Bl. 9 d.A.) teilte der Wahlvorstand mit, dass die Betriebsratswahl wie geplant am 10. Mai 2022 im Hause der Arbeitgeberin stattfinde.
Am 10. Mai 2022 führte der Wahlvorstand die Betriebsratswahl durch. Die drei Arbeitnehmerinnen Frau L., Frau C. und Frau Z. wurden mit 52, 50 sowie 60 Stimmen gewählt. Sie nahmen die Wahl jeweils an.
Mit Schreiben vom 15. Mai 2022 (Anlage ASt 2 - Bl. 6 R d.A.) gab der Wahlvorstand das Wahlergebnis bekannt.
Die Arbeitgeberin hält die Betriebsratswahl vom 10. Mai 2022 für nichtig, hilfsweise für unwirksam.
Am 27. Juni 2022 (Anlage ASt 5 - Bl. 53 d.A.) erging gegenüber dem Betriebsratsmitglied Frau C. ein Betretungsverbot gemäß § 20a Infektionsschutzgesetz (IfSG).
Während des Beschwerdeverfahrens beim Landesarbeitsgericht entwickelte sich der Sachverhalt wie folgt weiter:
Am 09. Januar 2023 legte Frau C. ihr Amt als Betriebsratsmitglied nieder. Am selben Tage erhielten die Betriebsratsvorsitzende Frau L. sowie die Arbeitgeberin hiervon Kenntnis.
Am 18. Januar 2023 rief der Betriebsrat im Intranet im Betriebe der Arbeitgeberin dazu auf, sich freiwillig als Wahlvorstandsmitglied beim Betriebsrat zu melden, und setzte dafür eine Frist bis zum 14. Februar 2023 (Bl. 121 d.A.).
Erstmals mit Schriftsatz ihres Verfahrensbevollmächtigten vom 28. Januar 2023 (Bl. 115 d.A.) - und nicht zuvor - wies die Arbeitgeberin den Betriebsrat auf eine etwaige Notwendigkeit der Bestellung eines Wahlvorstandes für die Durchführung einer künftigen Betriebsratswahl hin (Bl. 121 d.A.).
Mit Ablauf des 31. Januar 2023 schied die Betriebsratsvorsitzende Frau L. durch Eigenkündigung aus dem Arbeitsverhältnis mit der Arbeitgeberin aus.
Seit dem 01. Februar 2023 besteht der am 10. Mai 2022 gewählte Betriebsrat nur noch aus der Betriebsobfrau Frau Z..
Die Arbeitgeberin hat vorgetragen, die Betriebsratswahl vom 10. Mai 2022 sei nichtig, weil zu wenig Personen für den zu bildenden Betriebsrat kandidiert hätten, sodass kein gesetzeskonformes Gremium habe gebildet werden können. Auch unter Berücksichtigung eines Rückgriffs auf § 11 BetrVG analog ändere sich an diesem Umstand nichts. § 11 BetrVG ermögliche einen Rückgriff auf die nächstniedrigere Betriebsgröße, sodass das zu wählende Gremium mindestens fünf Mitglieder haben müsse. Auch dieser Wert sei hier nicht erreicht. Soweit das Landesarbeitsgericht Düsseldorf (Beschluss vom 04. Juli 2014 - 6 TaBV 24/14 -, NZA 2014, S. 1155) zu einem abweichenden Ergebnis gekommen sei, könne dem nicht gefolgt werden. Bereits der Wortlaut von § 11 BetrVG stehe dieser Sichtweise entgegen. § 11 BetrVG sehe nur einen Rückgriff auf die nächstniedrigere Betriebsgröße und ni...