Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitszeit. Einigungsstelle. Mitbestimmung
Leitsatz (amtlich)
1. Die Betriebspartner eines Betriebes eines nichttarifgebundenen Arbeitgebers werden in § 7 Abs. 3 Satz 2 ArbZG legitimiert, tarifvertraglich auf die Betriebsebene delegierte Abweichungsbefugnisse durch den Abschluss von Betriebsvereinbarungen entsprechend eventueller inhaltlicher Vorgaben auszufüllen.
2. Solche von den Grundsätzen des ArbZG über § 7 Abs. 3 ArbZG abweichende Betriebsvereinbarungen können jedoch nicht über die Einigungsstelle erzwungen werden.
Normenkette
ArbGG § 98; ArbZG § 7 Abs. 3 S. 2
Verfahrensgang
ArbG Hamburg (Beschluss vom 09.05.2008; Aktenzeichen 27 BV 16/07) |
Tenor
Auf die Beschwerde der Antraggegnerin wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Hamburg vom 09. Mai 2008 – 27 BV 16/07 – teilweise abgeändert:
Der Antrag zu Ziffer 2 wird als unzulässig zurückgewiesen.
Auf die Anschlussbeschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Hamburg vom 09. Mai 2008 – 27 BV 16/07 – teilweise abgeändert:
Es wird festgestellt, dass der Spruch der Einigungsstelle vom 10. Juli 2008 rechtsunwirksam ist.
Die weitergehende Anschlussbeschwerde wird zurückgewiesen.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Tatbestand
I. Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit eines Einigungsstellenspruches. Bei der nicht tarifgebundenen Beteiligten zu 2), der Antragsgegnerin, wurde im Jahr 2006 eine Einigungsstelle zum Thema Bereitschaftsdienst in Wohngruppen gebildet. Die Antragsgegnerin betreibt Pflegeeinrichtungen. Antragsteller ist der bei ihr bestehende Betriebsrat.
Im Rahmen jener Einigungsstelle wurde am 30. November 2006 zunächst eine Einigung dahingehend erreicht, dass die §§ 45, 46 des Tarifvertrages für die Arbeitsrechtliche Vereinigung Hamburg e.V. – Besonderer Teil Krankenhäuser (TV-AVH-BT-K) vom 19. September 2005 gemäß § 7 Abs. 3 ArbZG übernommen werden sollten (Anl. Bl. 8 d.A.). Sofern bis zum 31. Juli 2006 keine endgültigen Regelungen der Betriebsparteien über die Übernahme tariflicher Regelungen zum Bereitschaftsdienst getroffen sein würden, sollte die Einigungsstelle ihre Tätigkeit fortsetzen. Bis zum 11. Juni 2007 wurde zwischen den Betriebsparteien entgegen ihrer Verabredung keine Einigung erzielt. Daher fand am 11. Juni 2007 eine weitere Einigungsstellensitzung statt. Nachdem noch einmal ein Einigungsversuch unternommen worden war, wiesen die Beisitzer des Betriebsrates darauf hin, dass nach ihrer Rechtsauffassung die Übernahme einer tariflichen Regelung gemäß § 7 Abs. 3 ArbZG nicht spruchfähig sei. Nachfolgend nahmen die Beisitzer des Betriebsrates am Abstimmungsverfahren nicht mehr teil, so dass mit den Stimmen der Arbeitgeberseite im ersten Abstimmungsgang eine Betriebsvereinbarung per Spruch der Einigungsstelle beschlossen wurde, welche bis zum 31. Dezember 2007 unter Ausschluss der Nachwirkung befristet war (Anl. A 3, Bl. 14 d. A.).
Nachdem zunächst dieser Spruch der Einigungsstelle gerichtlich angegriffen worden war, erfolgte am 4. Dezember 2007 eine weitere Einigungsstellensitzung, in welcher folgende Betriebsvereinbarung durch Spruch der Einigungsstelle nur mit den Stimmen der Arbeitgeberseite zu Stande kam (A 7, Bl. 75 d.A.):
„§ 1
Die §§ 45, 46 TV-AVH-BT-K vom 19.09.2005 werden gemäß § 7 Abs. 3 ArbeitszeitG übernommen.
§ 2
Gemäß § 45 Abs. 3 TV-AVH-BT-K wird die tägliche Arbeitszeit im Sinne des Arbeitszeitgesetzes ausschließlich der Pausen auf maximal 24 Stunden vereinbart, wenn in die Arbeitszeit regelmäßig und im erheblichen Umfang Bereitschaftsdienst fällt.
…
§ 3
Bei einer erfahrungsgemäß durchschnittlich anfallenden Arbeitsleistung innerhalb des Bereitschaftsdienstes bis maximal 24% kann die Arbeitszeit ohne Ausgleich wöchentlich bis maximal durchschnittlich 58 Stunden betragen.
Bei einer erfahrungsgemäß durchschnittlich anfallenden Arbeitsleistung innerhalb des Bereitschaftsdienstes bis maximal 49% kann die Arbeitszeit ohne Ausgleich wöchentlich bis maximal durchschnittlich 54 Stunden betragen.
Vorstehende Verlängerung der durchschnittlichen wöchentlichen Arbeitszeit ist nur im Einvernehmen mit dem Mitarbeiter möglich.
Dieses Einvernehmen ist gemäß § 7 Abs. 7 Arbeitszeitgesetz festzustellen und im Rahmen dieser gesetzlichen Regelung widerruflich. Hierfür ist die schriftliche Zustimmung der Mitarbeiter einzuholen und in der Personalabteilung zu sammeln. Der Arbeitnehmer kann die Zustimmung mit einer Frist von sechs Monaten schriftlich gegenüber der Personalleitung widerrufen. Kein Mitarbeiter erleidet Nachteile wenn er seine Zustimmung nicht erklärt oder widerruft.
§ 4
Diese Betriebsvereinbarung tritt am 01.01.2008 in Kraft und ist befristet bis 30.06.2008 und wirkt bis 30.09.2008 nach, sofern nicht zuvor eine Einigung über die abzuschließende BV Arbeitszeit erfolgt.”
Am 10. Juli 2008 wurde ein gleichlautender Spruch der Einigungsstelle in gleicher Weise beschlossen (Anl. A 6, Bl. 166 d.A.), befristet ohne Nachwirkung bis zum 31. März 2009, der letztlich Gegenstand vorliegenden Verfahrens in der Bes...