Entscheidungsstichwort (Thema)
Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrages. Eindeutige Tarifregelung über die Dauer der Regenerationskuren für Fluglotsen
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrags folgt den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Danach ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Bei nicht eindeutigem Wortlaut ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien mit zu berücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist stets auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur so Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden kann. Im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt.
2. Umfasst eine vom Arbeitgeber zu gewährende Freistellung für eine Regenerationskur für Fluglotsinnen und Fluglotsen nach dem einschlägigen Tarifvertrag einen Zeitraum von "26 Kalendertagen", so muss der Arbeitgeber auch für diese 26 Kalendertage die bezahlte Freistellung geben. Ein weiterer Freistellungsanspruch für die Tage der An- und Abreise zur Kur ist nicht vorgesehen. Hierfür gibt es nach dem Tarifvertrag nur eine pauschale Zeitgutschrift unabhängig von der Dauer und der zeitlichen Lage der An- und Abreise. Dass die Freistellung, die sich kalendertäglich bemisst, nicht mit einem Tag zusammenfallen darf, an welchem der Arbeitnehmer aufgrund der Jahresplanung schichtfrei hätte, ist im Tarifvertrag nicht vorgesehen. Diese tariflichen Regelungen sind eindeutig und keiner anderen Auslegung zugänglich. Auch entspricht die Gewährung der 26 Kalendertage und der Zeitgutschrift billigem Ermessen i.S.v. § 315 BGB.
Normenkette
BGB § 315; MTV FS-Dienste § 9 Abs. 3; SR FS-Dienste § 26 Abs. 1 Fassung: 2014-12-15, Abs. 7 Fassung: 2014-12-15
Verfahrensgang
ArbG Hamburg (Entscheidung vom 22.06.2016; Aktenzeichen 28 Ca 459/15) |
Nachgehend
Tenor
Das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 22. Juni 2016 (28 Ca 459/15) wird auf die Berufung der Beklagten abgeändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über den Umfang der nach § 26 der Sonderregelungen 2012 für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den operativen FS-Diensten (SR FS-Dienste) vom 23. März 2012 geregelten Regenerationskuren für Lotsinnen, Lotsen und Supervisors Flugverkehrskontrolldienst (FVK) (im Folgenden: Sonderregelungen). Diese Sonderregelungen wurden durch die zuständigen Tarifvertragsparteien abgeschlossen.
Der Kläger ist seit dem 1. Januar 2002 als Fluglotse bei der Beklagten an der Niederlassung in Hamburg zu einem Bruttomonatslohn in Höhe von 9.833,00 € bei einer wöchentlichen Nettoarbeitszeit in Höhe von 25,16 Stunden beschäftigt. Die Beklagte ist für die Flugverkehrskontrolle in Deutschland zuständig. Sie ist ein privatrechtlich organisiertes Unternehmen, welches zu 100 % dem Bund gehört.
Auf das Arbeitsverhältnis finden die Sonderregelungen 2012 für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den operativen FS-Diensten vom 23. März 2012 in der Fassung vom 15. Dezember 2014 (Anlage K2) aufgrund einzelvertraglicher Bezugnahme Anwendung.
In § 26 der Regelung (B. 21 R d.A.) sind so genannte Regenerationskuren für Lotsen geregelt. Danach nehmen Lotsen mit Berechtigung im operativen Einsatz im Flugverkehrskontrolldienst - hierzu gehört der Kläger - unter Fortzahlung ihrer Vergütung an einer Regenerationskur teil.
§ 26 Abs. 1 der Sonderregelungen lautet:
"Lotsinnen und Lotsen mit Berechtigung im operativen Einsatz im Flugverkehrskontrolldienst ... nehmen unter Fortzahlung ihrer Vergütung (§ 18 Abs. 1 Satz 2 des Manteltarifvertrags) an einer Regenerationskur teil, sobald sie 26 Kurpunkte (Schwellenwert) erworben haben."
In § 26 Abs. 7 der Sonderregelungen heißt es:
"Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind zu einer Teilnahme an den vorgesehenen einzelnen Regenerationskurmaßnahmen verpflichtet. Sie dienen ihrer Gesamtheit der Gesundheitsvorsorge, der Erhaltung der Einsatzfähigkeit und der Vermeidung eines späteren Tauglichkeitsverlusts.
Für die Anreise zur und Abreise von der Kureinrichtung wird den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern eine pauschale Gutschrift in einer Gesamthöhe von 12 Stunden auf das Arbeitszeitkonto gewährt. Ein darüber hinausgehender Anspruch auf Anrechnung von Reisezeit (§ 9 Abs. 3 Manteltarifvertrag) besteht nicht. Die Gutschrift bleibt bei der Anwendung der Obergrenze für Mehrarbeitsstunden (§ 14 Abs. 5 des Manteltarifvertrages oder § 7 Abs. 9 dieser Sonderregelungen) außer Betracht."
§ 9 Abs. 3 MTV lautet wiederum:
"Bei eintägigen Dienstreisen sowie an Hin- und Rückreisetagen bei mehrtägigen Dienstreisen werden die ge...