Entscheidungsstichwort (Thema)
Anfechtung eines Aufhebungsvertrags wg. widerrechtlicher Drohung. Widerrechtlichkeit der Drohung, wenn Arbeitgeber den AN vor Alternative Aufhebungsvertrag oder fristlose Kündigung stellt, obwohl Kündigung unzulässig, weil Zustimmung der Hauptfürsorgestelle nicht vorliegt
Leitsatz (amtlich)
1. Der Aufhebungsvertrag mit sofortiger Wirkung kann von einem schwerbehinderten Arbeitnehmer nach § 123 BGB angefochten werden, wenn der ArbGeb. mit einer fristlosen Kündigung gedroht hat, ohne den Sonderkündigungsschutz angesprochen zu haben, obwohl er ihm bewußt war.
2. Die im konkreten Fall zu bejahende Hinweispflicht des Arbeitgeber führt im Falle ihres Verletzung zur Verwerflichkeit der Zweck-Mittel-Relation und damit zur Wirksamkeit der Anfechtung wg. widerrechtlicher Drohung,
3. Bei bestehender Hinweispflicht ist im Fall ihrer Verletzung eine Bagatellisierung der Rechtsfolgen und das Erzeugen einer unangemessenen Drucksituation anzunehmen, wenn der Arbeitgeber allein auf den Vorzug eines Aufhebungs-Vertrags gegenüber einer fristlose Kündigung hinweist (strukturelle Ungleichheit).
Normenkette
BGB § 123; SchwbG § 15
Verfahrensgang
ArbG Hamburg (Teilurteil vom 24.04.1996; Aktenzeichen 6 Ca 537/95) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Teilurteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 24. April 1996 – 6 Ca 537/95 – dahin abgeändert, daß festgestellt wird, daß der Aufhebungsvertrag vom 14. November 1995 unwirksam ist.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses, in erster Linie über die Wirksamkeit eines Aufhebungsvertrags bzw. seiner Anfechtung, in zweiter Linie über die Wirksamkeit der hilfsweise ausgesprochenen Kündigungen.
Die Beklagte befaßt sich u. a. mit der Herstellung von Heizungsanlagen.
Der im Dezember 1942 geborene geschiedene Kläger ist von Beruf Heizungsmonteur. Das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien ist 1962 begründet worden. Der Kläger ist schwerbehindert (GdB 50%). Aus diesem Grund wurde er vor etwa acht Jahren in die Abteilung Poststelle und Pauserei übernommen, zu der auch das Archiv gehört. Arbeitskollegin in dieser Abteilung ist die Arbeitnehmerin … gewesen. Mitte November 1995 entschloß sich die Beklagte, das Arbeitsverhältnis sowohl mit Frau … als auch mit dem Kläger aufgrund bestimmter Vorfälle mit sofortiger Wirkung zu beenden. Beide unterschrieben am 14. November 1995 nach ihrer Anhörung einen entsprechenden Aufhebungsvertrag, nach dem die Arbeitsverhältnisse noch am selben Tag endeten.
Dem liegt folgender unstreitiger Sachverhalt zugrunde:
Die Arbeitskollegin … verlor Anfang Juli 1995 ihren Mann an einem Krebsleiden. Sie hatten eine Anzahl wertvoller Katzen und Vögel, um die sich bis dahin im wesentlichen der Mann gekümmert hatte. Nunmehr konnten sie von einem älteren Mann versorgt werden, der jedoch bereits im Oktober plötzlich erkrankte, so daß Frau … vorübergehend die Versorgung selbst übernehmen mußte. Das hatte zur Folge, daß Frau … morgens nicht rechtzeitig zur Arbeit erschien und nachmittags vorzeitig ihre Arbeitsstelle verließ. Der Kläger, der von Frau … wußte, stempelte daraufhin ohne vorherige Absprache mit Frau … deren Stempelkarte, weil er ihr – nach seiner Darstellung – Schwierigkeiten ersparen wollte, die beide von der Beklagten erwarteten. Frau … nahm dieses „Entgegenkommen” des Klägers hin.
Die Beklagte, die hinsichtlich der auf Frau … Stempelkarten dokumentierten Anwesenheitszeiten Verdacht schöpfte, schaltete einen Detektiv ein, der in seinem Bericht vom 13. November 1995 folgende Beobachtungen festhielt:
- am 6.11.1995 erreicht Frau das Betriebsgelände um 8 Uhr
- am 7.11.1995 um 7.33 Uhr
- am 8.11.1995 um 7.47 Uhr
- am 9.11.1995 um 7.55 Uhr
- am 10.11.1995 um 8.07 Uhr.
Gestempelt hatte der Kläger Frau … -Karte an den genannten Tagen um 7.00 Uhr, um 7.03 Uhr, um 7.00 Uhr, um 7.00 Uhr und um 7.06 Uhr.
Nach Darstellung der Beklagten hatte Frau … bereits am 27. Oktober 1995 verspätet um 7.15 Uhr das Betriebsgelände betreten, während ihre Stempelkarte bereits um 7 Uhr gestempelt worden war, am 30. Oktober gegen 7.40 Uhr (lt. Stempelkarte um 6.51 Uhr), am 31. Oktober 1995 um etwa 8.07 Uhr (lt. Stempelkarte um 6.51 Uhr).
Am Nachmittag des 14. November 1995 konfrontierte die Beklagte in getrennten Gesprächen zunächst Frau … und sodann den Kläger mit den getroffenen Feststellungen. Beide gaben zu, daß der Kläger für Frau … gestempelt habe. Anwesend war auf Arbeitgeberseite der Personalleiter, der auch das Gespräch führte, und der vorgesetzte Abteilungsleiter, der Zeuge …. Der Inhalt der Anhörung ist zwischen den Parteien teilweise streitig. Unstreitig geworden ist, daß der Personalleiter dem Kläger keine Strafanzeige androhte. Ob er ihm allerdings erklärte, es sei im Hinblick auf die dreimonatige Sperrfrist durch das Arbeitsamt gleichgültig, ob er einen Aufhebungsvertrag abschließe oder ob ihm fristlos gekündigt würde, ist ebenso streitig wie der Sachvortrag des Klägers, er habe gefragt, ob ein Mitglied des ...