Entscheidungsstichwort (Thema)
Auslegungsgrundsätze für Betriebsvereinbarungen. Differenzierung von Betriebsrentenregelungen und arbeitsrechtlicher Gleichbehandlungsgrundsatz. Betriebliche Übung als Anspruchsgrundlage im Arbeitsrecht
Leitsatz (redaktionell)
1. Betriebsvereinbarungen sind wegen ihres normativen Charakters wie Tarifverträge und Gesetze auszulegen. Auszugehen ist danach vom Wortlaut der Bestimmung(en) und dem dadurch vermittelten Wortsinn. Insbesondere bei unbestimmtem Wortsinn sind der wirkliche Wille der Betriebsparteien und der von ihnen beabsichtigte Zweck zu berücksichtigen, sofern und soweit sie im Tariftext Niederschlag gefunden haben. Abzustellen ist ferner auf den Gesamtzusammenhang und die Systematik der Regelung(en). Im Zweifel gebührt derjenigen Auslegung der Vorrang, die zu einem sachgerechten, zweckorientierten, praktisch brauchbaren und gesetzeskonformen Verständnis der Bestimmung(en) führt.
2. Ein vorzeitig ausscheidender Arbeitnehmer befindet sich nicht in einer vergleichbaren Situation mit einem Arbeitnehmer, der mit Erreichen der regulären Altersgrenze aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidet. Betriebsrentenregelungen und die Methodik der Betriebsrentenanpassung dürfen diesbezüglich differenzieren. Es liegt dann kein Verstoß gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz vor.
3. Im Bereich der betrieblichen Altersversorgung ist die betriebliche Übung als Rechtsquelle und damit als Anspruchsgrundlage ausdrücklich anerkannt. Die betriebliche Übung ist ein gleichförmiges und wiederholtes Verhalten des Arbeitgebers, das geeignet ist, vertragliche Ansprüche auf eine Leistung oder sonstige Vergütung zu begründen, wenn der Arbeitnehmer aus dem Verhalten des Arbeitgebers schließen durfte, ihm werde die Leistung oder Vergünstigung auch künftig gewährt.
Normenkette
BetrAVG § 1b Abs. 1 S. 4; BGB § 151; BetrAVG § 16 Abs. 1; BV Soziale Richtlinien Allg. Bestimmungen Nr. 7 Abs. 1 Fassung: 1995-10-21, Abs. 2 Fassung: 1995-10-21
Verfahrensgang
ArbG Hamburg (Entscheidung vom 11.11.2015; Aktenzeichen 4 Ca 111/15) |
Nachgehend
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 11. November 2015 - 4 Ca 111/15 - wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Berufung hat der Kläger zu tragen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über Ansprüche aus betrieblicher Altersversorgung.
Der am XX.XXXXXXXXXXXXXX geborene Kläger war bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten, der Hamburgischen Electricitäts-Werke Aktiengesellschaft (künftig: HEW AG), im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses beschäftigt, das als aktives Arbeitsverhältnis mit Ablauf des 30. September 1997 endete. Vom 01. Oktober 1997 bis 30. September 1998 befand sich der Kläger im vorzeitigen Ruhestand (Vereinbarung zum vorzeitigen Ruhestand vom 21./27. Februar 1997, Anlage B 2 - Bl. 40 d.A.). Seit dem 01. Oktober 1998 bezieht der Kläger eine Sozialversicherungsrente und ein Ruhegeld nach der bei der Beklagten bestehenden betrieblichen Altersversorgungsregelung.
Das Ruhegeld des Klägers richtet sich nach der zwischen der HEW AG und deren Betriebsrat geschlossenen Betriebsvereinbarung "Soziale Richtlinien" vom 21. Oktober 1975 (künftig: BV Soziale Richtlinien). Die BV Soziale Richtlinien in der bis 30. Juni 2005 geltenden Fassung regelt (künftig: BV 75.14, Anlage K 1 - Bl. 9 d.A.):
"Allgemeine Bestimmungen
...
7. Anpassung
[1] Die Ruhegeldberechnung wird zu bestimmten Zeitpunkten jeweils der Entwicklung der Gehaltstarife angepaßt.
[2] [1]Soweit bestehende Anwartschaften vorzeitig ausgeschiedener Mitarbeiter in Ruhegeld umgewandelt werden, ist dieses alle drei Jahre auf eine Anpassung hin zu überprüfen und hierüber nach billigem Ermessen zu entscheiden. [2]Dabei sind insbesondere die Belange des Versorgungsempfängers und die wirtschaftliche Lage der HEW zu berücksichtigen (gesetzliche Regelung).
..."
Am 14. Juni 2000 schlossen die Arbeitgebervereinigung Energiewirtschaftlicher Unternehmen e. V. und die Industriegewerkschaft Metall, Bezirksleitung Hamburg, sowie die Deutsche Angestellten-Gewerkschaft, Landesverband Hamburg, für die HEW AG einen neuen Manteltarifvertrag (künftig: MTV HEW, Anlage K 7 - Bl. 18, 20 d.A.). Darin ist geregelt:
"II / D BEENDIGUNG DES ARBEITSVERHÄLTNISSES
...
5.3 ...
[3] [1]Einzelheiten, insbesondere Anspruchsvoraussetzungen, Zeitpunkt des Übertritts in den (vorzeitigen) Ruhestand, Höhe der Beiträge und Leistungen u. ä. werden - ebenso wie die Behandlung besonderer Personengruppen und Härtefälle - durch Betriebsvereinbarung geregelt. [2]Änderungen werden nur nach Zustimmung der Tarifpartner wirksam."
Am 26. September 2003 vereinbarten die im Konzern Vattenfall Europe vertretenen Gewerkschaften, die Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie, die ver.di Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft und die Industriegewerkschaft Metall, die Bildung einer Tarifgemeinschaft sowie die Zusammenarbeit im Rahmen der Verhandlungen über ein Konzerntarifwerk...