Entscheidungsstichwort (Thema)
Verstoß von § 42 RTV gegen Art. 3 Abs. 1 GG
Leitsatz (amtlich)
Die eigenständige tarifliche Regelung der verlängerten Kündigungsfristen für die gewerblichen Arbeitnehmer des Maler- und Lackierverhandwerks (§ 42 Ziff. 2 RTV), die eine erheblich kürzere Kündigungsfrist bestimmt, als sie tariflich für die in diesem Handwerk tätigen Angestellten gilt, verstößt gegen den Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG und ist daher nichtig.
Leitsatz (redaktionell)
§ 42 des RTV für gewerbliche Arbeitnehmer im Maler- und Lackiererhandwerk vom 30 März 1992 ist jedenfalls insofern wegen Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 GG unwirksam, als bei einer Betriebszugehörigkeit von mehr als 20 Jahren für gewerbliche Arbeitnehmer kürzere Kündigungsfristen gelten als für Angestellte.
Normenkette
BGB § 622 Abs. 2; GG Art. 3 Abs. 1; RTV GEWERBLICHE ARBEITNEHMERMALER UND LACKIERER § 42 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Hamburg (Urteil vom 04.04.1995; Aktenzeichen 1 Ca 520/94) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 4. April 1995 – 1 Ca 520/94 – wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten der Berufung.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Rechtswirksamkeit einer von der Beklagten zum 31. Januar 1995 ausgesprochenen Kündigung des Arbeitsverhältnisses.
Der am 24. Januar 1937 geborene Kläger, der anerkannter Schwerbehinderter ist, war seit dem 06. Januar 1965 bei der Beklagten, die einen Malereibetrieb betrieben hat, als Malergeselle zu einer monatlichen Bruttovergütung von DM 4.039,10 tätig. Ausweislich der Urkundenrolle Nr. 323 für 1994 des Notars … faßte die Beklagte unter dem 23. August 1994 den Beschluß, die Gesellschaft aufzulösen. Unter dem 07. November 1994 erteilte die Hauptfürsorgestelle die Zustimmung zur fristgemäßen Kündigung des Klägers.
Mit Schreiben vom 10. November 1994 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 31. Januar 1995.
Mit seiner am 23. November 1994 eingegangenen Klage hat sich der Kläger gegen die vorgenannte Kündigung gewehrt. Er hat vorgetragen, die Beklagte habe die gesetzliche Kündigungsfrist nicht eingehalten. Die Kündigungsfrist des § 42 des Rahmentarifvertrages für gewerbliche Arbeitnehmer im Maler- und Lackiererhandwerk vom 30. März 1992 (im folgenden: RTV) sei verfassungswidrig, da sie die gewerblichen Arbeitnehmer gegenüber den Angestellten ohne sachlichen Grund benachteilige.
Der Kläger hat beantragt,
festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 12. November 1994 nicht zum 31. Januar 1995 aufgelöst worden ist, sondern bis zum 30. Juni 1995 fortbestehen wird.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat erwidert, die Kündigungsfrist des § 42 RTV sei verfassungsgemäß, so daß das Arbeitsverhältnis zum 31. Januar 1995 beendet worden sei.
Mit Urteil vom 04. April 1995 – 1 Ca 520/94 – hat das Arbeitsgericht Hamburg der Feststellungsklage des Klägers stattgegeben. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt: Das Arbeitsverhältnis der Parteien sei durch die Kündigung der Beklagten vom 12. November 1994 nicht zum 31. Januar 1995 beendet worden. Die von der Beklagten angewandte Kündigungsfrist des § 42 RTV verstoße gegen Artikel 3 Abs. 1 Grundgesetz und sei damit verfassungswidrig. Die dadurch entstandene Lücke sei durch Anwendung der tarifdispositiven Gesetzesnorm zu schließen, so daß das Arbeitsverhältnis erst zum 30. Juni 1995 (unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von 7 Monaten zum Monatsende) beendet werden konnte. Die Bestimmung des § 42 RTV, bei der es sich um eine eigenständige tarifliche Regelung von Kündigungsfristen für gewerbliche Arbeitnehmer handele, beruhe insoweit auf einem Verstoß gegen Artikel 3 Abs. 1 Grundgesetz, als sie eine deutliche Benachteiligung derjenigen gewerblichen Arbeitnehmer gegenüber der Rechtsstellung der Angestellten enthalte, die mehr als 20 Jahre in demselben Betrieb tätig seien. Denn bei diesen gewerblichen Arbeitnehmern habe der Arbeitgeber lediglich eine Kündigungsfrist von 2 Monaten zum Monatsende einzuhalten, während bei einem Angestellten mit dieser Betriebszugehörigkeit eine Kündigungsfrist von 6 Monaten zum Kalendervierteljahr zur Anwendung komme. Für diese Verschlechterung der Rechtsstellung der älteren gewerblichen Arbeitnehmer gegenüber den Angestellten seien keine sachlichen Differenzierungsgründe ersichtlich. Sie ergäben sich auch nicht aus dem Vortrag der Parteien.
Gegen dieses den Prozeßbevollmächtigten der Beklagen am 03. Mai 1995 zugestellte Urteil hat die Beklagte, die inzwischen unter HR B … bei dem Handelsregister des Amtsgerichts M. als Abwicklungsgesellschaft eingetragen ist, mit einem am 10. Mai 1995 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und ihre Berufung sofort begründet.
Die Beklagte trägt zur Begründung ihrer Berufung vor: Die unterschiedlich langen Kündigungsfristen für langjährig beschäftigte Arbeiter und Angestellte des Maler- und Lackiererhandwerks seien im Hinblick auf Artikel...