Entscheidungsstichwort (Thema)
Entschädigungsanspruch bei Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot des AGG. Kausalzusammenhang zwischen geschütztem Merkmal und Benachteiligung. Darlegungs- und Beweislast im Diskriminierungsprozess. Freie Überzeugung des Gerichts gem. § 286 ZPO über diskriminierende Benachteiligung. Diskriminierungsmerkmal als Motiv für benachteiligende Entscheidung
Leitsatz (redaktionell)
1. Nach § 15 Abs. 2 Satz 1 AGG kann der oder die Beschäftigte wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen. Dabei setzt dieser Entschädigungsanspruch einen Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot gem. § 7 Abs. 1 i.V.m. § 1 AGG voraus.
2. Gem. § 7 Abs. 1 Hs. 1 AGG dürfen Beschäftigte nicht wegen eines der in § 1 AGG genannten Merkmale benachteiligt werden. Dabei ist ein Kausalzusammenhang erforderlich. Dieser ist gegeben, wenn die Benachteiligung an einen oder mehrere der in § 1 AGG genannten Gründe anknüpft und dadurch motiviert ist. Ausreichend ist, dass ein in § 1 AGG genannter Grund Bestandteil eines Motivbündels ist, das die Entscheidung beeinflusst hat.
3. Der Gesetzgeber hat in § 22 AGG eine Beweislastregel für den Rechtsschutz im Diskriminierungsrechtsstreit aufgestellt. Die klagende Partei muss Indizien vortragen und ggfs. beweisen, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes wie z.B. Alter, Geschlecht oder ethnische Herkunft, vermuten lassen. Hierfür muss nach allgemeiner Lebenserfahrung eine überwiegende Wahrscheinlichkeit bestehen. Genügt der Prozessvortrag diesen Anforderungen, trägt die beklagte Partei die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat.
4. Die Würdigung, ob der Anspruchsteller Tatsachen vorgetragen hat, die seine Benachteiligung wegen eines Diskriminierungsmerkmals vermuten lassen, obliegt der freien Überzeugung des Tatsachengerichts. Gem. § 286 Abs. 1 ZPO haben die Tatsachengerichte unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlung und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme zu entscheiden, ob sich die behaupteten Benachteiligungen z.B. wegen Alters, Geschlechts oder Herkunft als "wahr" vermuten lassen.
5. Jeder Mensch verfügt über ein Alter, ein Geschlecht und eine ethnische Herkunft. Entscheidend ist, ob eine Nichtberücksichtigung in einem Bewerbungsverfahren nach den vorgetragenen Indizien auf einem dieser Merkmale beruhen könnte. Nicht das "Haben" einer der in § 1 AGG genannten Merkmale macht ein Indiz i.S.d. § 22 AGG aus, sondern es geht um die Frage, ob bei einer benachteiligenden Entscheidung an einem dieser Merkmale oder an allen angeknüpft wurde.
Normenkette
ZPO § 286 Abs. 1; AGG §§ 1, 7 Abs. 1, § 15 Abs. 1, § 22
Verfahrensgang
ArbG Hamburg (Entscheidung vom 17.04.2014; Aktenzeichen 5 Sa 411/13) |
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 17. April 2014 - 5 Sa 411/13 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Entschädigung wegen behaupteter Diskriminierungen im Bewerbungsverfahren in Anspruch.
Die Klägerin, Jahrgang 1961, in Russland geboren und deutsche Staatsangehörige, absolvierte ein Studium der Fachrichtung Elektronische Maschinen am Institut für Gerätebau und Luftfahrt in Sankt Petersburg. Dieses Studium, das einem an einer Fachhochschule in der Bundesrepublik Deutschland durch Diplomprüfung abgeschlossenen Studium der Fachrichtung Informatik gleichwertig ist, schloss die Klägerin am 22. Februar 1984 mit der Qualifikation einer Systemtechnik-Ingenieurin ab. Seit dem 1. April 2003 ist die Klägerin arbeitslos.
Die Klägerin bewarb sich bereits im Jahr 2006 erfolglos bei der Beklagten.
Im Frühjahr 2013 absolvierte die Klägerin erfolgreich einen Kurs "Apps-Programmierung Android".
Am 26. Juni 2013 bewarb sich die Klägerin unter Übersendung eines Lebenslaufes und verschiedener Zeugnisse und Bescheinigungen (Anlage A 2, Bl. 6 ff. d.A.) auf die von der Beklagten im Internet veröffentlichten Ausschreibung der Stelle "Android Software Entwickler (w/m)", wie in der Anzeige vorzugsweise erbeten, online. In der Anzeige heißt es auszugsweise (Anlage A 1, Bl. 5 d.A.):
Was werden Sie machen?
• Entwicklung hochwertiger und komplexer mobiler Anwendungen für die Android Plattform
• Durchführung eigenständiger Projekte durch den gesamten Life-Cycle - von der Anforderungsanalyse, (software-)technischen Konzeption und Realisierung bis zur Inbetriebnahme
• Durchführung von Systemintegrationen, Tests und Qualitätssicherungen
• Enge Zusammenarbeit mit dem Produktmanagement und Designteam
• Unterstützung bei der Implementierung von Backendsystemen wie z.B. unserer Push-Infrastruktur
Was sollten Sie mitbringen?
• Ein abgeschlossenes Studium der Informatik, Ingenieurswesen oder eine vergleichbare abgeschlossene Berufsaus...