Entscheidungsstichwort (Thema)
Weiter Gestaltungsspielraum der Tarifvertragsparteien bei der tariflichen Normsetzung. Keine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung durch einheitliche verkürzte tarifliche Kündigungsfristen
Leitsatz (redaktionell)
1. Regeln die Tarifvertragsparteien in einem Tarifvertrag, dass im Falle der Anwendung eines Sozialplans mit Entlassungen einheitliche kürzere Kündigungsfristen gelten, so ist dies erstens hinreichend bestimmt und liegt zweitens in der Gestaltungsfreiheit der Tarifvertragsparteien. Zum einen ist der in § 112 Abs. 1 Satz 2 BetrVG gesetzlich definierte Begriff "Sozialplan" eindeutig, zum anderen kann eine Tarifnorm für den Fall der Geltung eines Sozialplans abweichende Regelungen vom "Normalfall" aufstellen.
2. Die Geltung einheitlicher kürzerer Kündigungsfristen für alle Arbeitnehmer führt zu einer Ungleichbehandlung der Arbeitnehmer aus dem Umstand, dass für Arbeiter mit langen Betriebszugehörigkeitszeiten von 15 Jahren und mehr die Kündigungsfrist ohne die Anwendung eines Sozialplans neun Monate zum Ende eines Kalenderhalbjahres beträgt, sie bei Anwendung eines Sozialplans aber nur einen Monat zum Monatsende umfasst. Diese Ungleichbehandlung ist aber unter Berücksichtigung des weiten Gestaltungsspielraums der Tarifvertragsparteien und ihrer Einschätzungsprärogative gerechtfertigt. Denn sie konnten davon ausgehen, dass eine lange Betriebszugehörigkeit bei den inhaltlichen Regelungen eines Sozialplans berücksichtigt wird. Auch sind einheitliche Kündigungsfristen angemessen, weil es so dem Arbeitgeber ermöglicht wird, bei anstehenden Betriebsänderungen schnell handeln zu können und die geplante Umstrukturierung vorzunehmen.
Normenkette
BetrVG § 112 Abs. 1 S. 2; GG Art. 3 Abs. 1, Art. 9 Abs. 3; BGB § 622 Abs. 4; RTV für die Hafenarbeiter der deutschen Seehafenbetriebe § 21 Nr. 1 Fassung: 2014-11-26
Verfahrensgang
ArbG Hamburg (Entscheidung vom 18.05.2017; Aktenzeichen 15 Ca 577/16) |
Nachgehend
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 18. Mai 2017 - 15 Ca 577/16 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten in der Berufungsinstanz nur noch über den Zeitpunkt der Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses.
Der am XX.XXXXXXX 1964 geborene und verheiratete Kläger ist bei der Beklagten bzw. ihren Rechtsvorgängern seit dem 01. August 1980 als Hafenarbeiter beschäftigt. Seine durchschnittlich zuletzt erzielte Monatsvergütung belief sich nach seinen Angaben auf € 4.867,03 brutto. Die Beklagte betrieb bis zum 31. Dezember 2016 auf dem Gelände "A./Schuppen XX" einen Terminalbetrieb mit regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmern.
Auf das Arbeitsverhältnis findet der Rahmentarifvertrag für die Hafenarbeiter der deutschen Seehafenbetriebe (im Folgenden: RTV) und die dazu jeweils abgeschlossenen Sonderbestimmungen Anwendung. Der RTV in Verbindung mit den Sonderbestimmungen für den Hamburger Hafen in der Fassung vom 26. November 2014 enthält für die Kündigungsfristen unter § 21 Ziffer 1 die folgenden Regelungen:
"Zwischen dem Hafeneinzelbetriebsarbeiter und dem Hafeneinzelbetrieb sowie zwischen dem Gesamthafenarbeiter und dem zuständigen Verwaltungsträger des Gesamthafenbetriebes beträgt die Kündigungsfrist für beide Seiten 4 Wochen.
Hat das Arbeitsverhältnis einschließlich der Ausbildungszeit bei demselben Arbeitgeber 5 Jahre bestanden, so erhöht sich diese Kündigungsfrist auf einen Monat zum Monatsende.
Hat das Arbeitsverhältnis einschließlich der Ausbildungszeit bei demselben Arbeitgeber 10 Jahre bestanden, so erhöht sich diese Kündigungsfrist auf 3 Monate zum Ende eines Kalendervierteljahres.
Hat das Arbeitsverhältnis einschließlich der Ausbildungszeit 15 Jahre bei demselben Arbeitgeber bestanden, so erhöht sich diese Kündigungsfrist auf 6 Monate zum Ende eines Kalendervierteljahres; hat das Arbeitsverhältnis einschließlich der Ausbildungszeit 15 Jahre bei demselben Arbeitgeber bestanden und hat der Hafenarbeiter das 50. Lebensjahr vollendet, beträgt diese Kündigungsfrist 9 Monate zum Ende eines Kalenderhalbjahres.
Bei Anwendung von Sozialplänen regeln sich die Kündigungsfristen nach Abs. 2 dieser Ziffer."
Da der Mietvertrag für die Nutzung des Betriebsgeländes zum 31. Dezember 2016 auslief und eine Laufzeitverlängerung nicht zustande kam (Anlage B 13 = Bl. 261 d.A.), wurde der Terminalbetrieb zum 31. Dezember 2016 stillgelegt. Die Beklagte kündigte allen beschäftigten Arbeitnehmern betriebsbedingt zum 31. Dezember 2016, darunter auch dem Kläger.
Den Kündigungen waren ausweislich Sitzungsniederschrift (Anlage B 2 = Bl. 71 ff d.A.) Interessenausgleichsverhandlungen in der dafür gebildeten Einigungsstelle vorausgegangen. Deren Scheitern wurde am 14. September 2016 mit vier zu drei Stimmen festgestellt (Anlage B 2 = Bl. 71 ff d.A.). Ebenfalls unter dem Datum 14. September 2016 wurde mit vier zu drei Stimmen durch Spruch der Einigungsstelle ein Sozialplan besch...