Entscheidungsstichwort (Thema)

Individualvertraglicher Verzicht auf Versorgungsansprüche aus einer Gesamtbetriebsvereinbarung mit Anpassungsvorbehalt. Zahlungsklage auf wiederkehrende Leistungen bei unzureichenden Darlegungen der Arbeitgeberin zu den finanziellen Gründen ihrer Anpassungsentscheidung und Missachtung der Verteilungsgrundsätze

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der Verzicht auf Rechte aus einer Gesamtbetriebsvereinbarung ohne Zustimmung des Gesamtbetriebsrats ist wirksam, sofern die in einem Aufhebungsvertrag zugesagte betriebliche Altersversorgung günstiger ist als nach den betrieblichen Regelungen.

2. Sieht eine Gesamtbetriebsvereinbarung zur betrieblichen Altersversorgung vor, dass die dort geregelte Gesamtversorgung entsprechend der Entwicklung der Renten der gesetzlichen Rentenversicherung steigen soll, und ist gleichzeitig zugunsten der Arbeitgeberin ein Anpassungsvorbehalt vorgesehen, wonach etwas anderes beschlossen werden darf, sofern die grundsätzlich vorgesehene Steigerung "für nicht vertretbar" gehalten wird, so erfordert das Gebrauchmachen dieses Anpassungsvorbehalts das Vorliegen hinreichender wirtschaftlicher Gründe.

3. Ist nach der Gesamtbetriebsvereinbarung die Erhöhung der Gesamtversorgungsbezüge geregelt, so verstößt die Entscheidung der Arbeitgeberin, nur einen Bestandteil der Gesamtversorgungsbezüge zu erhöhen, gegen die Verteilungsgrundsätze der Gesamtbetriebsvereinbarung und ist damit unwirksam. Gleichzeitig verstößt die Arbeitgeberin gegen das Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG, da sich das Mitbestimmungsrecht in Bezug auf die Verteilungsgrundsätze auch auf ausgeschiedene Mitarbeiter erstreckt.

 

Normenkette

BGB §§ 133, 157; BetrVG § 74 Abs. 2 S. 2, § 87 Abs. 1 Nr. 10, § 77 Abs. 2 S. 2, Abs. 4 S. 1; BGB §§ 134, 305c Abs. 1, §§ 315, 611a; ZPO § 258

 

Verfahrensgang

ArbG Hamburg (Entscheidung vom 02.05.2017; Aktenzeichen 25 Ca 489/16)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 20.08.2019; Aktenzeichen 3 AZR 222/18)

 

Tenor

Auf die Anschlussberufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 2. Mai 2017 (25 Ca 489/16) teilweise abgeändert und zur Klarstellung insgesamt wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger beginnend mit dem 1. Juli 2017 über den Betrag von € 1.795,65 brutto hinaus jeweils zum 01. eines Monats einen Betrag in Höhe von € 64,64 brutto zu zahlen.

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger einen Betrag in Höhe von € 985,11 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszins auf einen Betrag in Höhe von € 18,66 seit dem 2.07.2015, € 18,66 seit dem 2.08.2015, € 18,66 seit dem 2.09.2015, € 18,66 seit dem 2.10.2015, € 18,66 seit dem 2.11.2015, € 18,66 seit dem 2.12.2015, € 18,66 seit dem 2.01.2016, € 18,66 seit dem 2.02.2016, € 18,66 seit dem 2.03.2016, € 18,66 seit dem 2.04.2016, € 18,66 seit dem 2.05.2016, € 18,66 seit dem 2.06.2016, € 63,43 seit dem 2.07.2016, € 63,43 seit dem 2.08.2016, € 63,43 seit dem 2.09.2016, auf € 63,43 seit dem 2.10.2016, auf € 63,43 seit dem 2.11.2016, auf € 63,43 seit dem 2.12.2016, auf € 63,43 seit dem 2.01.2017, auf € 63,43 seit dem 2.02.2017, auf € 63,43 seit dem 2.03.2017, auf € 63,43 seit dem 2.04.2017, auf € 63,43 seit dem 2.05.2017 und auf € 63,43 seit dem 2.06.2017 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Im Übrigen wird die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger 35 %, die Beklagte 65%.

Die Revision wird für die Beklagte zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um einen Anspruch auf höhere Rentenanpassung für die Jahre 2015 bis 2017.

Die Beklagte ist ein Lebensversicherungsunternehmen, das in den deutschen A.-Konzern eingebunden ist.

Die klagende Partei war vom 01. November 1979 bis zum 31. Dezember 2007 bei einem Unternehmen des B.-Konzerns tätig, dessen Rechtsnachfolgerin die Beklagte ist. Sie bezieht seit dem 1. Mai 2012 betriebliche Versorgungsleistungen, die zu Beginn € 1.121,82 brutto betrugen.

Die klagende Partei schied aufgrund einer Aufhebungsvereinbarung vom 07. Februar 2007 im Rahmen einer Frühpensionierung aus dem Arbeitsverhältnis zur Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin aus (Anl. B 2, Bl. 152 ff d.A.). Dort ist in § 9 zur Altersversorgung Folgendes geregelt:

"Die B. D. L. AG gewährt Herrn F., unabhängig von der Höhe außerbetrieblicher Leistungen oder Leistungen der Versorgungskasse der B. VVaG, mit Beginn des Kalendermonats, von dem ab erstmals der Bezug einer Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung - ggf. auch mit Abschlägen - möglich ist, eine monatliche Rente von 1.108,70 Euro brutto. Die tariflichen oder individuellen Gehaltserhöhungen werden bis zum Ausscheiden nachträglich anteilig berücksichtigt. Diese Rente wird nach den Bestimmungen des Betrieblichen Versorgungswerks angepasst."

Die B. errichtete in den 60iger Jahren eine betriebliche Altersversorgung, die als "Betriebliches Versorgungswerk" (kurz: BVW) bezeichnet wird.

Unter dem 8. Juli 1987 schlossen der Gesamtbetriebsrat und die B. D. L. AG die Betriebsver...

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