Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorläufiger Insolvenzverwalter mit Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis. Kündigungsfrist. Betriebsratsanhörung. Zustimmung des Insolvenzgerichts. Bétriebsstilllegung
Leitsatz (redaktionell)
1. Der vorläufige Insolvenzverwalter hat auch dann keine Befugnis, Arbeitsverhältnisse mit der verkürzten Frist nach § 113 Abs. 1 S. 2 InsO zu kündigen, wenn ihm vom Insolvenzgericht gem. § 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Schuldnervermögen übertragen worden ist.
2. Ist die Stilllegung des Betriebs von einer Behörde verbindlich angeordnet, so ist die Zustimmung des Insolvenzgerichts gem. § 22 Abs. 1 Nr. 2 InsO ausnahmsweise keine Wirksamkeitsvoraussetzung für eine aus diesem Grund ausgesprochene Kündigung des vorläufigen Insolvenzverwalters.
Normenkette
KSchG § 1 Abs. 3; InsO § 22 Abs. 1 Nr. 2, § 21 Abs. 2 Nr. 2, § 113 Abs. 1; BetrVG §§ 4, 102 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Hamburg (Urteil vom 01.12.2003; Aktenzeichen 6 Ca 389/02) |
Nachgehend
Tenor
1. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 19. Februar 2003 (6 Ca 389/02) wird zurückgewiesen.
2. Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Befugnis des vorläufigen Insolvenzverwalters mit Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis, ein Arbeitsverhältnis mit der verkürzten Frist des § 113 I 2 InsO zu kündigen.
Die 1941 geborene Klägerin war seit dem 1. Juli 1980 bei „U. GmbH & Cie” in H. als Sachbearbeiterin tätig (Arbeitsvertrag Anlage KI, BI. 8 ff d. A.). Im Zuge eines Management Buy Outs ging der Tätigkeitsbereich der Klägerin im Jahre 1992 auf die Fa „B. AG” (B. AG) über. Das Beschäftigungsverhältnis der Klägerin wurde von dieser Firma auf der Grundlage einer Ergänzung zum Anstellungsvertrag (Anlage K 1, Bl. 6f d. A.) übernommen. Schwerpunkt der Tätigkeit der B. AG war die strategische Vermögensverwaltung auf der Basis von Investmentfonds für Privatkunden. Die Geschäftsräume befanden sich am B. in H..
Aufgrund eines Unternehmenskaufvertrages vom 14. 12. 2001 übernahm die „B. Bank AG” – B. Bank AG mit Sitz in B. (Schuldnerin) am 1. 1. 2002 das Privatkundengeschäft der B. AG. Die Schuldnerin übernahm auch die Arbeitsverhältnisse der Klägerin (Anstellungsvertrag Anl. K1, BI. 4 f d. A.) und der weiteren 5 in H. tätigen B. AG-Mitarbeiter. Einer dieser Mitarbeiter, Herr T., hatte Prokura. Die der Klägerin von der B. AG erteilte Prokura wurde von der Schuldnerin zurückgenommen. Das Gehalt der Klägerin betrug zuletzt EUR 3.196,– brutto pro Monat.
Die Schuldnerin unterhielt einen Bankbetrieb in B.. Schwerpunkt der dortigen Tätigkeit war die Gewährung von Krediten an kleinere und mittlere Unternehmen. Im B. Betrieb gab es einen Betriebsrat, welcher aufgrund eines Wahlausschreibens vom 15. 11. 2001 im Januar 2002 von den zu diesem Zeitpunkt in B. tätigen 22 Mitarbeitern gewählt worden war.
Die Geschäftstätigkeit in H. wurde in den zuvor von der B. AG genutzten Geschäftsräumen fortgeführt. Ein personeller Austausch zwischen der Zentrale in B. und der Zweigstelle in H. fand nicht statt. Der tägliche Arbeitsablauf in H. wurde ohne Einflussnahme aus B. organisiert.
Am 28. 4. 2002 hob die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht die Erlaubnis der Schuldnerin zum Betreiben von Bankgeschäften und Finanzdienstleistungen auf und ordnete zugleich die Abwicklung der Schuldnerin an. Nach diesem Zeitpunkt betrieb die Schuldnerin keine Bankgeschäfte mehr. Am 10. 5. 2002 stellte die Bundesanstalt Insolvenzantrag über das Vermögen der Schuldnerin. Zu diesem Zeitpunkt waren in B. noch 22 Arbeitnehmer beschäftigt.
Durch Beschluss des Amtsgerichts Charlottenburg vom 28. 5. 2002 (Az.:101 IN 2398/02, Anlage K2, BI. 11f d. A.) wurde der Beklagte zum vorläufigen Insolvenzverwalter über das Vermögen der Schuldnerin bestellt. In Ziffer 5 des Beschlusses wurde der Schuldnerin gemäß § 21 11 Nr. 2 InsO ein allgemeines Verfügungsverbot auferlegt und die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Vermögen der Schuldnerin auf den vorläufigen Insolvenzverwalter übertragen. Eine Zustimmung zur Stilllegung des Betriebs der Schuldnerin gem. § 22 1 Nr. 2 InsO wurde vom Insolvenzgericht nicht erteilt. –
Der Beklagte stellte fest, dass zwischen der Schuldnerin und der B. AG Streit über die Abwicklung des Untemehmenskaufs bestand, in dessen Verlauf die B. AG die Telefonleitungen der Schuldnerin unterbrach. Ende Mai 2002 beschränkte sich der Geschäftsbetrieb in H. auf Abwicklungsarbeiten. Nachdem im Juni 2002 Verhandlungen zwischen der B. AG und dem Beklagten zur Rückübertragung des H. Geschäftsbereichs an die B. AG gescheitert waren, entschied sich der Beklagte Anfang Juli 2002, diesen Bereich stillzulegen.
Mit Schreiben vom 23. 7. 2002 (Anlage K 3, Bl. 13 d. A.), welches der Klägerin am 24. 7. 2002 zuging, kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis der Klägerin zum 30. 9. 2002, hilfsweise zum n...