Entscheidungsstichwort (Thema)
Geltung eines hauseigenen “Zukunftstarifvertrages„ bei arbeitsvertraglicher Bezugnahme auf “die Tarifverträge des Hamburger Einzelhandels .. in ihrer jeweils gültigen Fassung„
Leitsatz (amtlich)
1. Zur Auslegung einer arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklausel unter Berücksichtigung des Transparenzgebots und der Unklarheitenregelung (Firmentarifvertrag statt Verbandstarifvertrag)
2. Ein in Bezug genommener Firmentarifvertrag setzt sich nach dem Grundsatz der Spezialität gegenüber einem ebenfalls in Bezug genommenen Flächentarifvertrag durch. Das Günstigkeitsprinzip führt zu keinem anderen Ergebnis.
Leitsatz (redaktionell)
1. Bei der nach §§ 133, 157 BGB gebotenen Erforschung des wirklichen Willens der Vertragsparteien ist deren typische Interessenlage zu berücksichtigen.
2. Durch eine arbeitsvertragliche Verweisungsklausel (“Im Übrigen gelten die Tarifverträge des Hamburger Einzelhandels, die Gesamtbetriebsvereinbarungen der K. AG, sowie die Betriebsordnung der o.g. Betriebsstelle in ihrer jeweils gültigen Fassung„) will die Arbeitgeberin - für den Arbeitnehmer erkennbar - die fachlich und betrieblich einschlägigen Tarifverträge in Bezug nehmen; zu diesen gehört insbesondere ein von der Arbeitgeberin abgeschlossener Firmentarifvertrag.
Normenkette
BGB § § 305 ff., § 305c Abs. 2, § 307 Abs. 1 S. 2, §§ 133, 157, 611a; TVG § 4 Abs. 1, 3; ZPO § 256 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Hamburg (Entscheidung vom 11.10.2017; Aktenzeichen 22 Ca 126/17) |
Nachgehend
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 11. Oktober 2017 - 22 Ca 126/17 - wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Kläger zu tragen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten im Rahmen eines Feststellungsantrags darüber, ob auf das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis Tarifverträge für den Einzelhandel in Hamburg, insbesondere ein Gehaltstarifvertrag in der jeweils gültigen Fassung Anwendung finden.
Die Beklagte betreibt ein Einzelhandelsunternehmen mit einer Vielzahl von Filialen im Bundesgebiet. Der Kläger, der Mitglied der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) ist, ist seit dem 01. Mai 1989, zuletzt auf Grundlage eines Anstellungsvertrags vom 01. November 2005 (Anlage K 1, Bl. 5-6 d.A.) in der Filiale X-Straße in Hamburg bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin als Verkäufer beschäftigt. Der Anstellungsvertrag vom 01. November 2005, auf den im Übrigen Bezug genommen wird, lautet auszugsweise:
"[...]
2. Sie erhalten für Ihre Tätigkeit eine Vergütung von EUR 2.037,13 brutto für 163,00 Std./monatlich = 100% der tariflichen Monatsarbeitszeit.
Im vorstehenden Betrag sind enthalten:
nach Tarifgruppe GB 2b EUR 2.037,13 brutto
3. Etwaige die tariflichen Ansprüche übersteigende Mehrbezüge werden bei einer Veränderung der tariflichen Ansprüche verrechnet, es sei denn, dass ausdrücklich eine andere Vereinbarung getroffen wird.
[...]
9. Sie erhalten Urlaub nach den jeweils geltenden Bestimmungen des Tarifvertrags und der Betriebsordnung
[...]
14. Die Bedingungen dieses Anstellungsvertrages behalten ihre Gültigkeit auch dann, wenn eine Änderung der bisherigen Tätigkeit und/oder eine Änderung des Entgelts - bei Teilzeitbeschäftigung auch der Arbeitszeit - eintritt. Im übrigen gelten die Tarifverträge für den Hamburger Einzelhandel, die Gesamtbetriebsvereinbarungen der K. AG, sowie die Betriebsordnung der o.g. Betriebsstelle in ihrer jeweils gültigen Fassung.
[...]"
Die zuvor zwischen dem Kläger und der Rechtsvorgängerin der Beklagten geschlossenen Anstellungsverträge datieren vom 29. Dezember 2003 und vom 31. März 1989 (Anlagenkonvolut K 8, Bl. 117-119 d.A.). Wegen des genauen Wortlautes der diesbezüglichen Regelungen wird auf das Anlagenkonvolut K 8 Bezug genommen.
Bis zum 06. Mai 2013 war die Beklagte Vollmitglied des tarifschließenden Arbeitgeberverbands, dem Landesverband des Hamburger Einzelhandels e.V.. Mit Kündigung vom 06. Mai 2013 (vgl. Anlage B 2, Bl. 98 d.A.) beendete die Beklagte ihre Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband mit sofortiger Wirkung.
In einem Verfahren vor dem Arbeitsgericht Hamburg zum Aktenzeichen 22 Ca 246/14 einigten sich die Parteien durch gerichtlichen Vergleich vom 11. Dezember 2014 (Anlage K 2, Bl. 7-8 d.A.) u.a. auf eine "monatliche nicht anrechenbare übertarifliche Zulage in Höhe von € 116 brutto" mit dem Ergebnis, dass der Kläger finanziell so gestellt wurde, dass er de facto seit August 2013 wieder das jeweilige Tarifgehalt erhielt. In einem Schreiben des seinerzeit die Beklagte vertretenden Arbeitgeberverbandes vom 04. März 2015 (Anlage K 3, Bl. 9-10 d.A.) heißt es hierzu u.a.:
"Damit ging der Wille der Parteien bei Vergleichsabschluss dahin, dass Ihr Mandant das jeweils aktuelle Tarifgehalt erhält."
Zwischenzeitlich vereinbarte die Beklagte mit der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) einen sog. "Zukunftstarifvertrag K." (nachstehend: "Zukunftstarifvertrag"; Anlage K 7...