Entscheidungsstichwort (Thema)

Geltung eines Firmensanierungstarifvertrages aufgrund arbeitsvertraglicher Bezugnahmeklausel

 

Leitsatz (amtlich)

1. Wird in einem Arbeitsvertrag auf "die Tarifverträge des Hamburger Einzelhandels, die Gesamtbetriebsvereinbarungen der K. AG sowie die Betriebsordnung der o.g. Betriebsstelle in ihrer jeweiligen Fassung" verwiesen, werden hierdurch die Branchentarifverträge des Hamburger Einzelhandels zeitdynamisch in Bezug genommen. Ein bundesweit geltender, als Firmentarifvertrag abgeschlossener "Zukunftstarifvertrag" wird von der Bezugnahmeklausel nicht erfasst.

2. Gilt im Arbeitsverhältnis neben dem arbeitsvertraglich in Bezug genommenen Branchentarifvertrag ein Firmentarifvertrag normativ aufgrund der Mitgliedschaft des Arbeitnehmers in der tarifschließenden Gewerkschaft, findet das Günstigkeitsprinzip Anwendung. Hierbei ist ein Sachgruppenvergleich vorzunehmen (vgl. BAG 15.04.2015 - 4 AZR 587/13 - juris).

 

Normenkette

BGB §§ 133, 157; TVG § 4 Abs. 3; BGB § 611a

 

Verfahrensgang

ArbG Hamburg (Entscheidung vom 07.06.2017; Aktenzeichen 27 Ca 487/16)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 12.12.2018; Aktenzeichen 4 AZR 126/18)

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 7. Juni 2017 - Az. 27 Ca 487/16 - unter Zurückweisung der Berufung der Beklagten abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.083,49 € brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 03.12.2016 zu zahlen.

Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, an die Klägerin unter Berücksichtigung der Teilzeitbeschäftigung ein Tarifgehalt der Gehaltsgruppe 3 nach fünf Tätigkeitsjahren des Gehaltstarifvertrages für den Hamburger Einzelhandel in der jeweils aktuellen Fassung zu zahlen.

Von den Kosten des arbeitsgerichtlichen Verfahrens haben die Beklagte 94 % und die Klägerin 6 % zu tragen. Die Kosten des landesarbeitsgerichtlichen Verfahrens hat die Beklagte zu tragen.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob sich die Vergütung der Klägerin nach dem Entgelttarifvertrag für den Hamburger Einzelhandel in der jeweils gültigen Fassung bestimmt oder ob die Beklagte berechtigt ist, im Arbeitsverhältnis der Parteien einen für ihr Unternehmen abgeschlossenen Zukunftstarifvertrag zur Anwendung zu bringen.

Die Beklagte betreibt ein Einzelhandelsunternehmen mit einer Vielzahl von Filialen im Bundesgebiet. Die Klägerin, die Mitglied der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) ist, ist seit dem 15. Oktober 2005 auf Grundlage eines Anstellungsvertrags vom 10. Oktober 2005 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerinnen in der Filiale X-Straße in Hamburg als Kassiererin in Teilzeit (19,29 Wochenstunden) beschäftigt. Der Anstellungsvertrag, für dessen Inhalt im Übrigen auf die Anlage K 1, Bl. 11 f. d.A. Bezug genommen wird, lautet auszugsweise wie folgt:

"[...]

2. Sie erhalten für Ihre Tätigkeit eine Vergütung von Euro 1.220,12 brutto für 85,57 Std./monatlich = 100% der tariflichen Monatsarbeitszeit.

Im vorstehenden Betrag sind enthalten:

nach Tarifgruppe GB 3 EUR 2.324,00 brutto

3. Etwaige die tariflichen Ansprüche übersteigende Mehrbezüge werden bei einer Veränderung der tariflichen Ansprüche verrechnet, es sei denn, dass ausdrücklich eine andere Vereinbarung getroffen wird.

[...]

9. Sie erhalten Urlaub nach den jeweils geltenden Bestimmungen des Tarifvertrags und der Betriebsordnung

[...]

14. Die Bedingungen dieses Anstellungsvertrages behalten ihre Gültigkeit auch dann, wenn eine Änderung der bisherigen Tätigkeit und/oder eine Änderung des Entgelts - bei Teilzeitbeschäftigung auch der Arbeitszeit - eintritt. Im Übrigen gelten die Tarifverträge des Hamburger Einzelhandels, die Gesamtbetriebsvereinbarung der K. W. AG, sowie die Betriebsordnung der o.g. Betriebsstelle in ihrer jeweils gültigen Fassung.

[...]"

Bis zum 6. Mai 2013 war die Beklagte Vollmitglied des Landesverbandes des Hamburger Einzelhandels e.V. als dem tarifschließenden Arbeitgeberverband. Mit Kündigung vom 6. Mai 2013 (siehe Anlage B 1, Bl. 100 d.A.) beendete die Beklagte ihre Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband mit sofortiger Wirkung. Nach ihrem Verbandsaustritt zahlte die Beklagte an die Klägerin nur noch ein "Tarifgehalt" auf Basis des zum 6. Mai 2013 geltenden Gehaltstarifvertrags des Hamburger Einzelhandels in Höhe von EUR 1.348,93 (vgl. Entgeltabrechnungen für April bis Oktober 2016, Anlagenkonvolut K3, Bl. 33 ff. d.A.). Tariflohnerhöhungen in 2013 bzw. den Folgejahren gab die Beklagte nicht mehr an die Klägerin weiter.

In einem vorangegangenen Rechtsstreit vor dem Arbeitsgericht Hamburg (Az: 27 Ca 75/19), in welchem die Klägerin Vergütungsdifferenzen wegen der zwischenzeitlichen Tariferhöhungen des Gehaltstarifvertrags des Hamburger Einzelhandels geltend gemacht hatte, schlossen die Parteien einen Vergleich über Vergütungsansprüche der Klägerin bis einschließlich März 2016.

Mit ihrer am 23. November 2016 beim Arbeitsgeri...

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