Entscheidungsstichwort (Thema)

Entscheidung nach Lage der Akten bei erheblichen Zweifeln an der Prozessfähigkeit der nicht erschienenen Partei. Unbegründete Entschädigungsklage wegen Benachteiligung bei der Stellenbewerbung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Eine Entscheidung nach Lage der Akten ist in einer Säumnissituation nicht deshalb ausgeschlossen, weil erhebliche Zweifel an der Prozessfähigkeit der nicht erschienenen Partei bestehen. Für den Streit über die Prozessfähigkeit ist die davon betroffene Partei in jedem Fall als prozessfähig anzusehen (vgl. BAG, Beschluss v. 05.06.2014, 6 AZN 267/14. Solange der Streit über die Prozessfähigkeit andauert, kann die betroffene Partei deshalb durch Zustellung der Ladung an ihren Prozessbevollmächtigten zu einem Verhandlungstermin geladen werden.

2. Von ausgeprägtem Querulantenwahn kann ausgegangen werden, wenn die Vorstellungen einer klagenden Partei von einer eindeutigen Beeinträchtigung eigener Rechte sich weiter intensivieren und Zweifel an der Rechtmäßigkeit der eigenen Position nicht mehr zugelassen werden, absolute Uneinsichtigkeit und Selbstgerechtigkeit sich mit einer Ausweitung des Kampfes vom ursprünglichen Gegner auf andere Menschen und Instanzen verbindet und die Partei nicht mehr in der Lage ist, die verfahrensmäßige Behandlung ihrer Ansprüche durch die Gerichte nachzuvollziehen (vgl. LAG Hamburg, Urteil vom 09.08.2017, 3 Sa 50/16, juris; BGH, Urteil vom 04.11.1999, III ZR 306/9, juris).

3. Ergeben sich aus den wirtschaftlichen Folgen, die eine Partei durch die von ihr geführten Verfahren für sich selbst auslöst sowie aus der Art und Weise, in der die Partei diese Verfahren führt, Zweifel an ihrer Prozessfähigkeit, muss das Gericht die Möglichkeiten zur Aufklärung pflichtgemäß ausschöpfen. Verbleibende Zweifel gehen zulasten der betroffenen Partei. Diese hat das Risiko der Nichterweislichkeit ihrer Prozessfähigkeit zu tragen, da sie insoweit eine "objektive" Beweislast trifft (nach BAG, Urteil vom 20.01.2000, 2 AZR 733/98, juris).

 

Normenkette

ZPO § 331a S. 2, § 251a Abs. 2, §§ 233, 51-52, 51 Abs. 1; BGB § 104 Nr. 2

 

Verfahrensgang

ArbG Hamburg (Entscheidung vom 14.01.2015; Aktenzeichen 4 Ca 92/14)

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 14. Januar 2015 - 4 Ca 92/14 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Zahlung einer Entschädigung wegen Benachteiligung im Zusammenhang mit einer Bewerbung.

Die Klägerin ist über 50 Jahre alt und russischer Herkunft. Sie hat 1984 ein Informatikstudium abgeschlossen.

Die Klägerin bewarb sich am 08. November 2013 auf eine von der Beklagten ausgeschriebene Stelle als Softwareentwickler (m/w). Die Stellenausschreibung enthält u.a. folgende Angaben:

"Ihr Profil

- abgeschlossenes Informatikstudium oder vergleichbare Qualifikation

- erste Berufserfahrung im Bereich Softwareentwicklung

- gute bis sehr gute Java-Kenntnisse und weitere Webtechnologien (z.B. HTML, PHP, JavaScript)

..."

Wegen der weiteren Einzelheiten der Stellenausschreibung wird Bezug genommen auf die Anlage A 1 (Bl. 5 d.A.). Wegen der Einzelheiten des Bewerbungsschreibens der Klägerin wird Bezug genommen auf die Anlage A 2 (Bl. 6 d.A.), wegen der Anlagen zum Bewerbungsschreiben auf die Anlage B 1 (Bl. 29-48 d.A.).

Mit E-Mail vom 18. November 2013 teilte die Beklagte der Klägerin ohne vorherige Einladung zu einem Vorstellungsgespräch mit, dass sie nicht in die engere Wahl genommen worden sei (Anlage A 3, Bl. 7 d.A.). Die Beklagte besetzte die Stelle mit einem Bewerber.

Mit Schreiben vom 16. Januar 2014 (Anlage A 3, Blatt 7 der Akte) machte die Klägerin gegenüber der Beklagten Ansprüche nach dem AGG geltend. Sie bat um "Auskunft über Zusammensetzung des Beschäftigungsbereiches, Softwareentwicklung, und über Qualifikation des eingestellten Bewerbers" und verlangte eine Entschädigung in Höhe von 10.000 €. Mit ihrer am 16. April 2014 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage vom 15. April 2014 hat die Klägerin dieses Begehren gerichtlich weiterverfolgt.

Neben der vorliegenden Klage erhob die Klägerin seit Beginn des Jahres 2010 bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt insgesamt 315 Klagen beim Arbeitsgericht Hamburg. Mit ihren Klagen macht die Klägerin jeweils Entschädigungs- bzw. Schadensersatzforderungen nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) geltend. Den Verfahren liegen jeweils erfolglose Bewerbungen der Klägerin um Stellen aus dem IT-Bereich zugrunde. Weiterhin machte die Klägerin seit Beginn des Jahres 2010 insgesamt 417 Rechtsmittel- und Prozesskostenhilfeverfahren beim Landesarbeitsgericht Hamburg anhängig. Soweit in den landesarbeitsgerichtlichen Verfahren Entscheidungen ergangen sind, sind die Anträge der Klägerin fast ausnahmslos zurückgewiesen worden. Gegen Entscheidungen, gegen die kein Rechtsmittel gegeben ist, wendet sich die Klägerin regelmäßig mit Anhörungsrügen. Richter, die an für sie nachteiligen Entscheidungen beteiligt gewesen sind, lehnt die K...

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