Entscheidungsstichwort (Thema)
Rentenanpassungsmechanik in einer betrieblichen Versorgungsordnung. Anforderungen an eine Abweichung von der im Versorgungswerk vorgesehene Rentenanpassung
Leitsatz (redaktionell)
1. Sehen die Versorgungsbedingungen der Versorgungsordnung vor, dass die Gesamtversorgungsbezüge jeweils entsprechend der gem. § 49 AVG vorgegebenen Entwicklung der Renten der gesetzlichen Rentenversicherung angepasst werden, so ist dies die für die Entwicklung der Altersversorgungsbezüge maßgebliche Vorgabe.
2. Soweit in den Versorgungsbedingungen eine Ausnahme bezüglich der Anpassungshöhe vorgesehen ist, kommt diese zum Zug, wenn die normale Anpassung "nicht für vertretbar" gehalten wird. Dies ist aber nur dann zu bejahen, wenn aufgrund objektiver Umstände unter Beachtung der Verhältnismäßigkeit die wirtschaftlichen Interessen des Versorgungsschuldners gegenüber den Rentnerinnen und Rentnern Vorrang haben. Wegen der besonderen Abhängigkeit der Versorgungsgläubiger von dem ihnen grundsätzlich zugesagten Versorgungsniveau sind an die Gründe für eine Abweichung von der Regel besondere Anforderungen zu stellen, für die das Vorliegen eines willkürfreien, sachlichen und nachvollziehbaren Grundes noch nicht ausreicht. Es müssen weitere dringende Handlungsgründe auf der Seite des Versorgungsschuldners hinzutreten.
Normenkette
AVG § 49; SGB VI §§ 65, 68; Versorgungsordnung (VO 85) § 6 Nr. 1 Fassung: 1985-04-01, Nr. 4 Fassung: 1985-04-01
Verfahrensgang
ArbG Hamburg (Entscheidung vom 08.02.2017; Aktenzeichen 17 Ca 377/16) |
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 08. Februar 2017 - 17 Ca 377/16 - abgeändert und die Beklagte verurteilt,
1. an die Klägerin beginnend mit dem 01. August 2016 über den Betrag von € 1.499,17 hinaus jeweils zum 01. eines Monats einen Betrag in Höhe von € 80,59 brutto zu zahlen;
2. an die Klägerin einen Betrag in Höhe von € 284,52 brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszins auf einen Betrag in Höhe von € 23,71 seit dem 01. Juli 2015, auf € 23,71 seit dem 01. August 2015, auf € 23,71 seit dem 01. September 2015, auf € 23,71 seit dem 01. Oktober 2015, auf € 23,71 seit dem 01. November 2015, auf € 23,71 seit dem 01. Dezember 2015, auf € 23,71 seit dem 01. Januar 2016, auf € 23,71 seit dem 01. Februar 2016, auf € 23,71 seit dem 01. März 2016, auf € 23,71 seit dem 01. April 2016, auf € 23,71 seit dem 01. Mai 2016 und auf € 23,71 seit dem 01. Juni 2016 zu zahlen;
3. an die Klägerin einen Betrag in Höhe von € 80,59 brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszins auf einen Betrag in Höhe von € 80,59 seit dem 01. Juli 2016 zu zahlen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Höhe der Anpassung von Versorgungsbezügen zum 01. Juli 2015 sowie 01. Juli 2016.
Die Klägerin war bei einem Unternehmen des (ehemaligen) B.-Konzerns beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis bestand bis zum 31. Oktober 2007, wobei die Klägerin zuletzt in Hamburg beschäftigt war. Seit dem 01. November 2007 bezieht sie eine betriebliche Rente (neben der zu gleichem Zeitpunkt beginnenden gesetzlichen Altersrente), die jeweils zum Monatsersten für den laufenden Monat gezahlt wird. Die Beklagte ist als Rechtsnachfolgerin die Versorgungsschuldnerin.
Rechtsgrundlage dieser betrieblichen Rente ist die "Versorgungsordnung vom 01. April 1985 - Tarifvertrag über die betriebliche Versorgungsordnung - 01. April 1985" (im Folgenden VO 85) zwischen der Tarifgemeinschaft der B. Unternehmensgruppe und der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen.
§ 6 der VO 85 enthält unter der Überschrift "Anpassung der Renten" folgende Regelung:
"1. Die Renten werden jeweils entsprechend der gemäß § 49 AVG vorgegebenen Entwicklung der Renten der gesetzlichen Rentenversicherung angepasst.
2. Die Anpassung der Renten erfolgt zum gleichen Zeitpunkt, zu dem die Renten der gesetzlichen Rentenversicherung verändert werden.
(Der § 49 AVG ist durch Artikel Ziffer 1 §§ 65 und 68 SGB (VI) neu gefasst worden. Die Änderung ist am 01.01.1992 in Kraft getreten).
3. Die Renten werden angepasst, wenn der Versorgungsfall vorm 01.12. des Vorjahres eingetreten ist.
4. Hält der Vorstand die Veränderung der Renten nach Ziffer 1 nicht für vertretbar, so schlägt er nach Anhören der Betriebsräte / des Gesamtbetriebsrates dem Aufsichtsrat zur gemeinsamen Beschlussfassung vor, was nach seiner Auffassung geschehen soll. Die Beschlussfassung ersetzt die Anpassung gemäß Ziffer 1."
Eine Anpassung der Renten nach § 16 BetrAVG nimmt die Beklagte nicht vor.
Zum 01. Juli 2015 wurden die Renten der gesetzlichen Rentenversicherung um 2,09717 % erhöht. Im Zeitraum Juni 2014 bis Juni 2015 erhöhte sich der Verbraucherpreisindex (VPI) von 106,719 auf 107,0, also um 0,281%. Zum 01. Juli 2016 wurden die Renten der gesetzlichen Rentenversicherung um 4,24512 % erhöht. Im Zeitraum Juni...