Entscheidungsstichwort (Thema)
Begründung des besonderen Beschäftigungsinteresses für den Erlass einer einstweiligen Verfügung durch Darlegung und Glaubhaftmachung durch den Arbeitnehmer. Verfahren wegen der Art der Beschäftigung des Arbeitnehmers
Leitsatz (amtlich)
1. Durch eine Verurteilung des Arbeitgebers zur Beschäftigung des Arbeitnehmers im Wege der einstweiligen (Leistungs-) Verfügung erlangt der Arbeitnehmer im Eilverfahren bereits eine endgültige Rechtsposition, die ihm eigentlich erst nach umfassender Prüfung der Sach- und Rechtslage in einem Hauptsacheverfahren zugesprochen werden kann. Es ist daher besonders sorgfältig zu prüfen, ob das Beschäftigungsinteresse des Arbeitnehmers der Sicherung durch die einstweilige Verfügung bedarf oder ob die bei zu Unrecht verweigerter Beschäftigung eintretende Sicherung des Vergütungsanspruchs durch die Regelung des Annahmeverzugs, ggf. auch durch das Schadensersatzrecht, nicht schon seinen Interessen ausreichend Rechnung trägt. Dazu bedarf es einer umfassenden Interessenabwägung, insbesondere dann, wenn lediglich das "Wie" der Beschäftigung in Streit steht und nicht der Beschäftigungsanspruch "an sich", d.h. das "Ob"
2. Der Verfügungsgrund setzt grundsätzlich ein gesteigertes Beschäftigungsinteresse voraus, dessen Durchsetzung keinen Aufschub duldet und dessen Ausgleich mit finanziellen Leistungen den Arbeitnehmer nicht vor schwerwiegenden Nachteilen schützt. Zur Begründung des besonderen Beschäftigungsinteresses für den Erlass einer einstweiligen Verfügung muss der Arbeitnehmer darlegen und glaubhaft machen, dass er zur Erhaltung seiner beruflichen Qualifikation oder zur Verwirklichung seines Persönlichkeitsrechts gerade auf die Beschäftigung bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache angewiesen ist.
3. Soweit bei einer Versetzung eines Arbeitnehmers nicht die Beschäftigung als solche, sondern die Art der Beschäftigung im Wege einer einstweiligen Verfügung gesichert werden soll, ist ein deutlich gesteigertes Abwehrinteresse des Arbeitnehmers zu verlangen, das etwa bestehen kann bei erheblichen Gesundheitsgefahren, einer drohenden irreparablen Schädigung des beruflichen Ansehens oder bei schweren Gewissenskonflikten. Neben einem gesteigerten Abwehrinteresse kommt für die Annahme eines Verfügungsgrundes nur die offenkundige Rechtswidrigkeit der arbeitgeberseitigen Maßnahme in Betracht.
Normenkette
GewO § 106; BGB § 315
Verfahrensgang
ArbG Hamburg (Entscheidung vom 20.12.2023; Aktenzeichen 13 Ga 7/23) |
Tenor
Die Berufung des Verfügungsklägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 20. Dezember 2023 - 13 Ga 7/23 - wird zurückgewiesen.
Der Verfügungskläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Tatbestand
Die Parteien streiten im einstweiligen Verfügungsverfahren über die Art der Beschäftigung des Verfügungsklägers.
Die Verfügungsbeklagte ist ein Unternehmen für IT-Dienstleistungen insbesondere in der Automobilbranche.
Der Verfügungskläger ist seit dem 1. Juni 2012 für die Verfügungsbeklagte zunächst als Projektmanager und zuletzt als sog. Chief Product Officer zu einem Bruttomonatsgehalt in Höhe von 8.333,33 € in Hamburg - überwiegend im Homeoffice - auf der Grundlage eines am 5. Mai 2012 geschlossenen Arbeitsvertrages (Anlage AG 1) tätig.
Als Chief Product Officer war es gemäß Stellenbeschreibung der Verfügungsbeklagten (Anlage AntG 1) Aufgabe des Verfügungsklägers, die Entwicklung und Implementierung von Dienstleistungsprodukten der Verfügungsbeklagten zu steuern. In dieser Funktion war der Verfügungskläger Mitglied des sog. Boards der Verfügungsbeklagten, in dem die wesentlichen Entscheidungen bei der Verfügungsbeklagten getroffen, die Geschäftstätigkeit koordiniert und das Unternehmen geleitet werden. In seiner Funktion als Chief Product Officer berichtete der Verfügungskläger ausschließlich an den Geschäftsführer der Verfügungsbeklagten [...].
Die Verfügungsbeklagte bot dem Verfügungskläger im Dezember 2023 eine Beschäftigung als sog. Ressourcen Manager zu veränderten Arbeitsbedingungen an. Alternativ dazu unterbreitete die Verfügungsbeklagte dem Verfügungskläger ein Angebot zur Aufhebung des Arbeitsverhältnisses (Anlage AG 5). Diese Angebote nahm der Verfügungskläger nicht an. Mit anwaltlicher E-Mail vom 7. Dezember 2023 ließ er der Verfügungsbeklagten mitteilen, dass dieses Angebot ungeachtet der grundsätzlichen Frage, ob der Verfügungskläger überhaupt zu einer einvernehmlichen Trennung bereit sei, offensichtlich ungeeignet sei, um in ernsthafte Verhandlungen über eine einvernehmliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses einzutreten und forderte die Verfügungsbeklagte zur Abgabe eines "ernstzunehmenden Angebots" sowie die Erteilung eines sehr guten Zwischenzeugnisses auf (Anlage AG 6).
Daraufhin sperrte die Verfügungsbeklagte am 11. Dezember 2023 zunächst die E-Mail- und Systemzugänge des Verfügungsklägers.
Mit anwaltlicher E-Mail vom 11. Dezember 2023 ließ der Verfügungskläger gegenüber der Verfügungsbeklagten seine Arbeitskraft anbieten und die...