Entscheidungsstichwort (Thema)

Umfang der wöchentlichen Arbeitszeit nach einem Betriebsübergang

 

Leitsatz (amtlich)

1. Tarifvertragsparteien können sich von dem gesetzlichen Konzept lösen, das bei Betriebsübergängen unter bestimmten Voraussetzungen eine Vereinheitlichung der kollektiven Arbeitsbedingungen vorsieht (§ 613a Abs. 1 Satz 2 und 3 BGB), und stattdessen mit einem Tarifvertrag für die neu geschaffene betriebliche Organisation eine Konzeption der weitgehenden Kontinuität der Arbeitsbedingungen verfolgen. Mit der Zielsetzung, den Arbeitnehmern jeweils Bestandsschutz für ihre bisherigen Arbeitsbedingungen zu gewähren, statt sie in der neu geschaffenen Einheit neuen kollektiven Arbeitsbedingungen zu unterwerfen, verlassen die Tarifvertragsparteien den ihnen als Normgeber zustehenden Gestaltungsfreiraum nicht.

2. Der legitime Zweck der Wahrung des Bestandes bzw. der Kontinuität der Arbeitsbedingungen rechtfertigt eine Ungleichbehandlung von Arbeitnehmergruppen in Abhängigkeit von ihrer Vorbeschäftigung.

 

Normenkette

GG Art. 3 Abs. 1; BGB § 613a; BGB § 613a Abs. 1 Sätze 2-3

 

Verfahrensgang

ArbG Hamburg (Entscheidung vom 18.01.2018; Aktenzeichen 29 Ca 312/17)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 11.07.2019; Aktenzeichen 6 AZR 548/18)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 18. Januar 2018 - Az. 29 Ca 312/17 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über den Umfang der wöchentlichen Arbeitszeit des Klägers.

Die Beklagte ist ein Unternehmen im Konzern der D.. Der am ... 1967 geborene Kläger begann seine Tätigkeit in diesem Konzern am 1. Juli 2001 auf der Grundlage des Arbeitsvertrages vom 6. Juni 2001 bei der T. mbH (T.). Ausweislich des Arbeitsvertrags, für dessen Inhalt auf die Anlage B 1, Bl. 88 ff. d. A. verwiesen wird, betrug seine wöchentliche Arbeitszeit bei der T. 40 Stunden.

Im Zuge einer Fusion des damaligen Arbeitgebers mit einer anderen Konzerngesellschaft ging das Arbeitsverhältnis im Jahr 2003 auf die neue Arbeitgeberin D1 GmbH (nachfolgend: D1) über. Der Kläger und die D1 schlossen einen neuen Arbeitsvertrag, der unter § 3 folgende Regelung zur "Anwendbarkeit von Tarifverträgen" enthält:

"Auf das Arbeitsverhältnis finden die für den Arbeitgeber geltenden betrieblich-fachlich einschlägigen Tarifverträge in ihrer jeweils gültigen Fassung Anwendung. Derzeit sind dies die mit der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di abgeschlossenen Tarifverträge."

Auf den Auszug aus dem Arbeitsvertrag in der Anlage B 2, Bl. 99 f. d. A., wird verwiesen. Nach § 9 Abs. 1 des Manteltarifvertrags der D1 vom 28. Mai 2003 (MTV Network Projects) galt bei der D1 grundsätzlich eine regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit von 38 Stunden. Tarifliche Regelungen zur Altersreduzierung der Arbeitszeit existierten bei der D1 nicht (siehe hierzu den MTV Network Projects in der Fassung vom 19. Juli 2004, Anlage B 3, Bl. 101 ff. d. A.). Für die von der T. zur D1 gewechselten Arbeitnehmer, die dem Geltungsbereich des MTV Network Projects unterfielen, enthielt der Tarifvertrag über besondere Arbeitsbedingungen bei der Network Projects GmbH vom 28. Mai 2003 in seinem Abschnitt I Sonderregelungen (Fassung vom 19. Juli 2004 in der Anlage B 4, Bl. 119 ff. d. A.). In § 5 Abs. 1 dieses Tarifvertrags heißt es wie folgt:

"Tarifliche Arbeitnehmer werden mit ihrer bisherigen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit in das Arbeitszeitsystem gemäß § 9 MTV überführt. Sie gelten als Vollzeit Arbeitnehmer, soweit die Wochenarbeitszeit 38,5 Stunden und mehr beträgt."

Für den Kläger galt bei der D1 weiterhin eine wöchentliche Arbeitszeit von 40 Stunden.

Zum 01.01.2006 erfolgte eine weitere Fusion von Unternehmensteilen der D. AG (DTAG) und der Beklagten auf die ehemalige D1, die zuvor in die T1 GmbH (nachfolgend "T1") umfirmiert worden war. Zum 1. Januar 2006 trat ein neuer Manteltarifvertrag für die T1 (MTV T1) in Kraft. Auf die Anlage B 6, Bl. 151ff. d. A., wird verwiesen. Ausweislich § 9 Abs. 1 MTV T1 galt auch bei der T1 eine regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit von 38 Stunden. Allerdings schlossen die Tarifvertragsparteien gleichfalls mit Wirkung zum 1. Januar 2006 einen Tarifvertrag über besondere Arbeitsbedingungen bei der T1 ab (nachfolgend "TV SR T1"), in dem die Arbeitsbedingungen aller aus den verschiedenen Quelleinheiten stammenden Arbeitnehmer in Ergänzung zu den Regelungen des neuen Manteltarifvertrages der T1 geregelt wurden. Die Regelungen erfolgten jeweils unter Wahrung von Besonderheiten der bisherigen unterschiedlichen Tarifvertragssysteme. Zur "Arbeitszeit gemäß § 9 MTV T1" heißt es in § 4 TV SR T1 wie folgt:

"Arbeitnehmer werden mit ihrer bisherigen maßgebenden regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit in das Arbeitszeitsystem gemäß § 9 MTV T1 überführt. Die jeweilige bisherige maßgebende regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit eines Vollzeitbeschäftigten gilt für diese Arbeitnehmer abweichend von § 9 Abs. 1 MTV T1 als regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit eines Vollzei...

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