Entscheidungsstichwort (Thema)
Tarifliche Abfindungsgruppen und Art. 3 I GG. Verstoß gegen den Gleichheitssatz bei unterlassener Bildung einer Untergruppe. Abbau tariflicher Besitzstände
Leitsatz (amtlich)
1. TVe unterliegen einer gerichtlichen Kontrolle am Maßstab des Gleichheitssatzes.
2. Bei einen am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise kann es geboten sein, bei der Bildung von Abfindungsgruppen im Hinblick auf das Regelungsziel zusätzliche Untergruppen zu bilden.
3. Kommt es infolge einer Tarifänderung bei einem Teil der Mitglieder einer Abfindungsgruppe zusätzlich zum Verlust eines Besitzstandes (Lohnsicherung), kann dieser weitere finanzielle Nachteil bei der Abfindungshöhe nicht grundsätzlich außer Betracht gelassen werden (Fehlen eines Sachgrunds für unterblieb. Differenz.).
Normenkette
GG Art. 3 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Hamburg (Urteil vom 31.05.1999; Aktenzeichen 21 Ca 140/99) |
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 31. Mai 1999 – 21 Ca 140/99 – wie folgt abgeändert:
- Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 800,– DM nebst 4 % Zinsen seit dem 1. Januar 1999 zu zahlen. Im übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
- Von den Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger 4/5, die Beklagte 1/5.
- Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob die Tarifvertragsparteien im Rahmen einer Abfindungsregelung unter Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz eine weitere Gruppenbildung unterlassen haben und ob dem Kläger hieraus ein weitergehender Abfindungsanspruch erwächst.
Die Beklagte betreibt in Hamburg mit U-Bahnen und Bussen den öffentlichen Personenverkehr. Sämtlichen Arbeitsverhältnissen liegen die Haustarifverträge der Beklagten zugrunde. Der am 12. Februar 1952 geborene Kläger ist seit dem 13. Juni 1977 bei der Beklagten beschäftigt. Er war bis 1990 als Busfahrer tätig. Vergütung erhielt er nach Vergütungsgruppe (VG) 9, Stufe 6. Hinzu kam eine tarifliche Einmannwagenfahrerzulage (Funktionszulage) von zuletzt DM 252,01 monatlich. Im November 1990 wurde der Kläger aus gesundheitlichen Gründen fahrdienstuntauglich. Seit dem 1. Dezember 1993 tut er Dienst als Prüfschaffner. Hierfür hat er Vergütung nach VG 8, Stufe 6 und darüber hinaus nach § 9 Abs. 4 MTV vom 21. Mai 1996 – MTV 1996 (Auszug Bl. 13 ff d. A.) zwei Ausgleichszulagen für das nun verringerte Arbeitsentgelt erhalten, und zwar gemäß § 9 Abs. 4 Buchst. b) MTV 1996 eine Zulage als Ausgleich für die Rückgruppierung von VG 9 nach VG 8 und eine weitere gemäß § 9 Abs. 4 Buchst. c) MTV 1996 für den Fortfall der Funktionszulage. Diese machte in seinem Fall 53 % der früheren Einmannwagenfahrerzulage aus. d. s. monatlich DM 137,60.
Mit Wirkung vom 1. Januar 1999 sind bei der Beklagten im Rahmen eines „Bündnisses für Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigungssicherung” neue Haustarifverträge in Kraft getreten, im einzelnen ein neuer Vergütungstarifvertrag, ein Tarifvertrag über das Vergütungssystem und ein neuer Manteltarifvertrag (siehe Anlage in Tasche am hinteren Aktendeckel). Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der Beklagten sind seitdem einkommensmäßig schlechter gestellt (u. a. durch Kürzung des Weihnachtsgelds. Wegfall von Zulagen etc.). Außerdem sind infolge einer neuen Tarifstruktur und der damit verbundenen neuen Staffelung der Vergütungsgruppen Herabgruppierungen erfolgt. Die Busfahrer sind beispielsweise von VG 9 nach VG 8 herabgestuft worden. Zusätzlich ist deren Einmannwagenfahrerzulage gestrichen worden.
Im Anhang 3 zum MTV, gültig ab 1. Januar 1999, wurde in den Protokollnotizen zu § 9 Abs. 4 (MTV 1999, Seite 47 der hektographierten Fassung) folgende Regelung
getroffen:
Für Mitarbeiter, die am 31.12.1998 bereits eine Ausgleichszulage erhalten, finden die bisherigen Regelungen des § 9 Abs. 4 MTV vom 21.03.1996 Anwendung.
Dies gilt mit der Maßgabe, daß die Ausgleichszahlungen für fahr- und sicherheitsdienstuntaugliche Mitarbeiter an die geänderten Eingruppierungen der vor Eintritt ihrer Dienstuntauglichkeit ausgeübten Tätigkeit und unter Berücksichtigung des Wegfalls der Einmannwagenfahrerzulage mit Wirkung vom 01.01.1999 angepaßt werden. (…)
Unter Bezugnahme auf diese Protokollnotiz teilte die Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom 12. Januar 1999 (Bl. 30) mit, die Ausgleichszulagen seien anzupassen; das bedeute für ihn, daß die bisher zu VG 9 gezahlte Ausgleichszulage gem. § 9 Abs. 4 Buchst. b) MTV 1996 genauso entfalle wie die Ausgleichszulage für den Verlust der Einmannwagenfahrerzulage gem. § 9 Abs. 4 Buchst. c) MTV 1996.
Zum Ausgleich für die Einkommensverluste infolge der Tarifänderung sind Abfindungspauschalen gemäß Anhang 2 des MTV 1999 gezahlt worden. Die Tarifvertragsparteien haben zu diesem Zweck drei Abfindungsgruppen gebildet, nämlich die Gruppe der (aktiven) Busfahrer, die Gruppe der Zugfahrer (und weiterer vorwiegend im U-Bahn-Bereich Beschäftigter) und Handwerker sowie die Gruppe der „üb...