Leitsatz (amtlich)

Zu einer anordnungsgemäßen Anhörung des Betriebsrates nach BetrVG vor Ausspruch einer krankheitsbedingten Kündigung gehört die Mitteilung der dem Arbeitgeber bekannten persönlichen Daten – hier Anzahl der Kinder – wenn sich diese persönliche Umstände im Rahmen der Interessenabwägung entscheidend zu gunsten des Arbeitnehmers auswirken können.

Die vom BAG aufgestellten Grundsätze, daß der ArbG dem Berichtsrat nur diejenigen Kündigungsgründe mitzuteilen habe, auf die er die Kündigung stützen wolle, lassen sich nicht auf persönlichen Umstände des AN, die nicht zum Kündigungsgrund, sondern zur Interessenabwägung gehören, übertragen.

 

Normenkette

BetrVG § 102 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Hamburg (Urteil vom 17.01.1995; Aktenzeichen 25 Ca 385/94)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 17. Januar 1995 – 25 Ca 385/94 – unter Zurückweisung der Berufung im übrigen – teilweise abgeändert und die Klage hinsichtlich des Klagantrags zu 2) abgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten der Berufung zu 3/4, der Kläger zu 1/4.

Die Revision wird zugelassen.

Gegen diesen Beschluß ist gemäß § 70 S. 2 ArbGG kein Rechtsmittel gegeben.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Rechtswirksamkeit einer ordentlichen krankheitsbedingten Kündigung der Beklagten sowie um die Weiterbeschäftigung des Klägers.

Der 27 Jahre alte, verheiratete und zwei Kindern unterhaltspflichtige Kläger war vom 9. Mai 1990 bis zum 9. Juli 1993 bei der Beklagten, die mehr als fünf Arbeitnehmer beschäftigt, als Bahnreiniger tätig. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis krankheitsbedingt mit Schreiben vom 22. Juni 1993. Gegen diese Kündigung wehrte sich der Kläger mit einer Kündigungsschutzklage, die zu dem Vorprozeß mit dem Aktenzeichen 25 Ca 277/93 beim Arbeitsgericht Hamburg führte. Am 22. März 1994 schlossen die Parteien in dem obengenannten Verfahren einen Vergleich, mit dem sich die Beklagte verpflichtete, den Kläger zum 1. April 1994 zu unveränderten Bedingungen als Bahnreiniger wieder einzustellen unter Anrechnung der bei der Beklagten erbrachten Vordienstzeiten.

Grundlage der Vertragsbeziehungen der Parteien ist der Arbeitsvertrag vom 8. Mai 1990 (Bl. 4 d.A.). Auf das Arbeitsverhältnis findet der Rahmentarifvertrag der Bahnreinigungsgesellschaften vom 20. Dezember 1991 Anwendung. Der Kläger erzielte zuletzt ein Bruttomonatseinkommmen von DM 3.500,–.

Mit Schreiben vom 23. August 1994 hörte die Beklagte den bei ihr gebildeten Betriebsrat zur beabsichtigten Kündigung des Klägers an (Bl. 20 f. d.A.). Mit Schreiben vom 25. August 1994 widersprach der Betriebsrat der vorgesehenen Kündigung (Bl. 9 d.A.).

Mit Schreiben vom 29. August 1994 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 15. September 1994 (Bl. 5 d.A.).

Er hat hierzu vorgetragen:

Die Kündigung sei rechtsunwirksam, weil der bei der Beklagten gebildete Betriebsrat zur Kündigung nicht ordnungsgemäß angehört worden sei, da – unstreitig – dem Betriebsrat die Unterhaltsverpflichtungen des Klägers für zwei Kinder nicht mitgeteilt worden seien. Dem Betriebsrat sei dies auch nicht aus eigener Anschauung bekannt gewesen.

Die Kündigung sei aber auch sozial ungerechtfertigt. Im Hinblick auf die Unterschiedlichkeit der Krankheitsbilder (Bl. 26 f. d.A.) liege eine negative Prognose hinsichtlich weiterer Fehlzeiten nicht vor. Eine Wiederholungsgefahr sei nicht gegeben; das vorübergehende psychische Leiden sei ausgeheilt. Im übrigen seien durch die Fehlzeiten keine erheblichen betrieblichen Auswirkungen verursacht worden. Auch seien nur zum Teil Lohnfortzahlungskosten für die Beklagte von über sechs Wochen aufzubringen gewesen.

Der Kläger hat beantragt,

  1. festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die fristgerechte Kündigung der Beklagten vom 29. August 1994 nicht aufgelöst worden ist, sondern fortbesteht;
  2. die Beklagte zu verurteilen, den Kläger zu unveränderten Bedingungen als Bahnreiniger weiterzubeschäftigen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat vorgetragen:

Die Kündigung sei aus personenbedingten Gründen sozial gerechtfertigt und die Anhörung des Betriebsrates sei ordnungsgemäß erfolgt. Die Kinderzahl sei der Beklagten nicht bekannt gewesen.

Der Kläger weise überdurchschnittlich hohe Fehlzeiten auf (i.e. Bl. 15 f. d.A.). Dadurch seien erhebliche Lohnfortzahlungskosten für die Beklagte verursacht worden (i.e. Bl. 17 d.A.). Die häufigen Kurzerkrankungen des Klägers rechtfertigten eine negative Prognose im Hinblick auf zukünftige Fehlzeiten. Auch nach der Wiedereinstellung im Jahre 1994 sei der Kläger erneut wiederholt und in immensem Umfang krankheitsbedingt ausgefallen.

Mit Urteil vom 17. Januar 1995 – 25 Ca 385/94 – hat das Arbeitsgericht festgestellt, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die fristgerechte Kündigung der Beklagten vom 29. August 1994 nicht aufgelöst worden ist, sondern fortbesteht und die Beklagte verurteilt, den Kläger zu unveränderten Bedingungen als Bahnreiniger weiterzubeschäftigen. Zur Begr...

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