Entscheidungsstichwort (Thema)

Anhörung. Betriebsrat. Kündigung. Krankheit. Kenntnis. Prognose

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Mitteilungspflicht des Arbeitgebers nach § 102 BetrVG darf nicht derart überspannt werden, daß das Anhörungsverfahren schon zum Kündigungsschutzprozeß wird.

2. Im Anhörungsverfahren ist der Betriebsrat ausreichend über den Kündigungszeitpunkt unterrichtet, wenn ihm dieser als „zum nächstmöglichen Termin” mitgeteilt wird.

3. Wenn der Betriebsrat sich die Kenntnis von Sozialdaten wie Kinderzahl und Familienstand aus generellen Informationen des Arbeitgebers oder durch Befragung des betroffenen Arbeitnehmers selbst verschafft und diese seiner Stellungnahme nach § 102 BetrVG zugrundelegt, ist das Anhörungsverfahren nicht mangelbehaftet und daher auch nicht unwirksam.

4. Auch bezüglich der Mitteilung des Kündigungsgrundes gilt der Grundsatz, daß der Arbeitgeber die für seinen Kündigungsentschluß maßgeblichen Umstände mitteilt. Wenn es um eine krankheitsbedingte Kündigung geht, reicht es in Bezug auf die Fehlzeiten aus, daß dem Betriebsrat für die gesamte Dauer des Beschäftigungsverhältnisses eine detaillierte Aufteilung der 143 Fehlzeiten unterschiedlicher Dauer von einer Gesamtfehlzeit von 770 Tage – aufgeteilt auf die jeweiligen Kalenderjahre – anhand von Übersichten mitgeteilt worden ist, die zeitliche Lage und Dauer der einzelnen Fehlzeiten muß nicht angegeben werden.

 

Normenkette

BetrVG § 102; KSchG § 1

 

Verfahrensgang

ArbG Neumünster (Urteil vom 15.04.1998; Aktenzeichen 1c Ca 2113/97)

 

Nachgehend

BAG (Beschluss vom 03.03.1999; Aktenzeichen 7 AZN 1022/98)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Neumünster

vom 15. April 1998 abgeändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.

 

Gründe

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung, die aus Krankheitsgründen ausgesprochen worden ist.

Wegen des Sach- und Streitstandes, wie er in erster Instanz vorgelegen hat, wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils sowie den in erster Instanz gewechselten Schriftverkehr der Parteien einschließlich deren Anlagen und wegen des Vorbringens der Parteien in der Berufungsinstanz auf den Inhalt ihrer während der Berufung gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Die Berufung ist zulässig. Sie ist dem Werte des Beschwerdegegenstandes nach statthaft, form- und fristgerecht eingelegt und rechtzeitig begründet worden. Die Berufung mußte auch Erfolg haben.

Die Kündigung ist nicht sozial ungerechtfertigt, denn sie ist durch Gründe, die in der Person des Klägers liegen, bedingt (§ 1 Abs. 2 KSchG). Die Kündigung ist insbesondere nicht wegen unterbliebener oder mangelhafter Anhörung des Betriebsrats unwirksam.

1. Entgegen der Annahme des Arbeitsgerichts ist die Anhörung des Betriebsrats nach § 102 BetrVG zur personenbedingten Kündigung des Klägers ordnungsgemäß. Hier gilt darauf hinzuweisen, daß mit dem LAG Hamm und dem LAG Düsseldorf die Mitteilungspflicht des § 102 Abs. 1 BetrVG nicht derart überspannt werden darf, daß das Anhörungsverfahren schon zum Kündigungsprozeß wird (LAG Hamm in DB 1982, 1624; LAG Düsseldorf DB 1983, 723 f.). Das Arbeitsgericht hat zwar zutreffend die üblichen Anforderungen benannt, die von der Rechtsprechung gemeinhin für die ordnungsgemäße Unterrichtung des Betriebsrats gefordert werden, die Anforderungen jedoch überzogen und den sich aus den Akten ergebenden Sachverhalt nicht ausreichend bewertet.

1.1. Die Mitteilung der Kündigungsfrist ist hier ausreichend. Die Beklagte hat die Kündigung als ordentliche Kündigung im Anhörungsbogen bezeichnet. Die Dauer der ordentlichen Kündigungsfrist konnte der Betriebsrat unschwer dem bei der Beklagten angewandten Tarifvertrag – § 11 Abschn. III MTV Chemie – entnehmen, die zur Ermittlung der konkreten Frist erforderlichen persönlichen Daten des Klägers wie Alter und Betriebszugehörigkeit waren dem Betriebsrat im Anhörungsbogen mitgeteilt worden (vgl. BAG, Urt. v. 27. Juni 1985 – 2 AZR 412/84 in DB 1986, 332; BAG, Urt. v. 24. Oktober 1996 in AP-Nr. 87 zu § 102 BetrVG 1972; ebenso Fitting/Kaiser/Heiter/Engels, BetrVG, 19. Aufl. 1998, Rdnr. 16 zu § 102).

1.2. Entgegen der Annahme des Arbeitsgerichts hat die Beklagte auch den Kündigungszeitpunkt zutreffend benannt. Wenngleich grundsätzlich dem Betriebsrat der Zeitpunkt der Kündigungserklärung mitgeteilt werden sollte, ist eine derartige Angabe des Tages dann entbehrlich, wenn der Arbeitgeber – wie hier – zum „nächstmöglichen Termin” zu kündigen beabsichtigt (BAG v. 15. Dezember 1994 – 2 AZR 327/94 in NZA 1995, 521; ebenso Berkonwsky, Die Beteiligung des Betriebsrats bei Kündigungen, § 4 II 3 c Rdnr. 38). Eine derartige Aussage erweist, daß der Arbeitgeber, je nach dem Zeitpunkt von der Kenntniserlangung von der Entscheidung des Betriebsrats über die Anhörung, zum dann nächsten Termin die Kündigung aussprechen wird. Damit ist ausreichend deutlich, daß der Arbeitgeber die Kündigungsanhörung nicht „auf Halde” nimmt, sondern unverzüglich ...

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