Entscheidungsstichwort (Thema)
Kein Entscheidungsrecht des Vorsitzenden bei Streit über Wirksamkeit einer Klagerücknahme. Pflicht zu einer mündlichen Verhandlung bei Klagerücknahmefiktion nach Ruhen des Verfahrens wegen beiderseitigem Nichterscheinen zum Termin
Leitsatz (amtlich)
1. § 55 Abs. 1 Nr. 1 ArbGG, der dem Vorsitzenden die Entscheidung bei Zurücknahme der Klage überlässt, findet keine Anwendung, wenn die Zulässigkeit oder die Wirksamkeit der Klagerücknahme umstritten ist.
2. Über die Frage, ob die Klage nach § 54 Abs. 5 ArbGG als zurückgenommen gilt, nachdem das Ruhen des Verfahrens angeordnet wurde, weil im Gütetermin beide Seiten nicht erschienen sind oder nicht verhandelt haben, kann nur mit der Kammer aufgrund mündlicher Verhandlung entschieden. Auf den außerhalb der 6-Monatsfrist gestellten Antrag ist Termin zur streitigen Verhandlung anzuberaumen.
Normenkette
ZPO § 269; ArbGG § 54 Abs. 5, § 55 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4
Verfahrensgang
ArbG Siegen (Entscheidung vom 19.03.2020; Aktenzeichen 2 Ca 1459/18) |
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Siegen vom 19.03.2020 aufgehoben. Das Arbeitsgericht wird angewiesen, das Verfahren fortzuführen.
Gründe
I. Die Parteien streiten darüber, ob die Klagerücknahmefiktion des § 55 Abs. 4 ArbGG eingetreten ist.
Mit der beim Arbeitsgericht am 31.01.2018 eingegangenen Kündigungsschutzklage wehrt sich der Kläger gegen eine von der Beklagten ausgesprochene Kündigung. Später ist das Verfahren verbunden worden mit einem anderen Rechtsstreit, in dem der Kläger eine Weihnachtsgeldzahlung geltend macht. Dem bereits in der Klageschrift enthaltenen Antrag des Klägers, den Kündigungsrechtsstreit einstweilen terminlos zu stellen schloss sich die Beklagte an. Auf mehrere Sachstandsanfragen antwortet der Klägervertreter jeweils mit dem Hinweis, dass aussichtsreiche Vergleichsverhandlungen geführt würden. Nachdem das Verfahren 6 Monate nicht betrieben worden war, wurde es ausgetragen. Mit Schriftsatz vom 18.12.2018 beantragte der Klägervertreter die Fortführung des Verfahrens, worauf ein später verlegter Gütetermin anberaumt wurde. Vor dem dann final anberaumten Gütetermin teilte der Klägervertreter mit, die Prozessbevollmächtigen der Parteien hätten telefonisch festgelegt, dass zum anstehenden Kammertermin am 14.02.2020 niemand erscheinen werde. Das Ruhen des Verfahrens möge angeordnet werden.
Im Gütetermin vom 14.02.2019 erschien demgemäß niemand und es wurde der Beschluss verkündet: "Das Ruhen des Verfahrens gemäß § 54 Abs. 5 ArbGG wird angeordnet".
Am 29.08.2019 bat der Kläger darum das Verfahren wieder aufzugreifen, da die Parteien sich geeinigt hätten, und bat um Protokollierung eines Vergleichs gemäß § 278 Abs. 6 ZPO. Auf den Hinweis des Gerichtes auf § 54 Abs. 5 ArbGG beantragte der Klägervertreter die Fortführung des Rechtsstreits, weil er der Auffassung war, ein Fall des § 54 Abs. 5 ArbGG liege nicht vor, sondern ein Fall des § 251 ZPO. Die Beklagte ist dem entgegengetreten.
Mit Beschluss vom 19.03.2020 hat das Arbeitsgericht folgenden Beschluss gefasst:
"Die Klage gilt gemäß § 54 Abs. 5 ArbGG i. V. m. § 269 Abs. 3 ZPO als zurückgenommen. Der Antrag des Klägers auf Fortführung des Rechtsstreits wird zurückgewiesen."
Gegen den ihm am 27.03.2020 zugestellten und wegen der weiteren Einzelheiten in Bezug genommene Beschluss hat der Kläger am 27.03.2020 Beschwerde eingelegt und darauf verwiesen, dass aus dem Umstand, dass die Parteien über den Prozessstoff verfügen könnten es ihnen auch zustehe, einvernehmlich Termin nicht wahrzunehmen, ohne hier mit § 54 Abs. 5 ArbGG durch den Verlust ihres Rechtsstreits sanktioniert zu werden.
Mit Beschluss vom 20.04.2020 hat das Arbeitsgericht der Beschwerde nicht abgeholfen, sondern sie dem Beschwerdegericht vorgelegt. Es hat darauf verwiesen, dass aufgrund des Beschlusses im Protokoll des Gütetermins, das Verfahren gemäß § 54 Abs. 5 ArbGG zum Ruhen zu bringen, die Rücknahmefiktion eingetreten sei. Daran ändere auch die zivilprozessuale Dispositionsmaxime nichts.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakte verwiesen.
II. Die Beschwerde ist zulässig und begründet.
1. Die Statthaftigkeit der Beschwerde ergibt sich aus § 78 ArbGG i. V. m. § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO.
Bei verständiger Würdigung des Beschlusses des Arbeitsgerichts kann nicht davon ausgegangen werden, dass das Arbeitsgericht einen Beschluss nach § 269 Abs. 4 ZPO fassen wollte. Denn dann hätte es auch über die Wirkungen der Klagerücknahmefiktion, nämlich die Kostentragungspflicht entscheiden müssen. Das Arbeitsgericht hatte auch keinen Anlass zu einer Entscheidung nach § 269 Abs. 4 ZPO, da diese nur auf Antrag erfolgt, der von der Beklagten jedoch nicht gestellt worden ist. Allgemein wird angenommen, dass sich die Statthaftigkeit der Beschwerde aus einer analogen Anwendung der §§ 252, 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO ergibt (vgl. BAG, 22.04.2009 - 3 AZB 97/08; LAG Hessen, 14.08.2006 - 9 Ta 25/06; LAG Saarland, 09.06.2000 ...