Entscheidungsstichwort (Thema)

Verbindlichkeit tariflicher Eingruppierungsregeln nach Betriebsübergang auf einen tariflich nicht gebundenen Arbeitgeber

 

Leitsatz (amtlich)

Nach einem Betriebsübergang sind die (ehemals) tariflichen Eingruppierungsregeln die vom tariflich nicht gebundenen Arbeitgeber bis zu einer Neuregelung gegenüber dem Betriebsrat zu beachtenden Entlohnungsgrundsätze i.S.d. § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG (Anschluss an BAG, Urteil vom 23.01.2018, 1 AZR 65/17 und Beschluss vom 08.12.2009, 1 ABR 66/08).

 

Normenkette

BetrVG § 87 Abs. 1 Nr. 10, §§ 99, 101; BGB § 613a

 

Verfahrensgang

ArbG Bielefeld (Entscheidung vom 05.01.2022; Aktenzeichen 4 BV 88/21)

 

Tenor

  1. Die Beschwerde der Arbeitgeberin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Bielefeld, verkündet am 05.01.2022, 4 BV 88/21, wird zurückgewiesen.
  2. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
 

Gründe

A.

Die Beteiligten streiten im Rahmen eines sogenannten Eingruppierungserzwingungsverfahrens um die Pflicht der Arbeitgeberin zur Eingruppierung von (noch) zwei Arbeitnehmerinnen in die Lohn- und Gehaltsordnung des Lohn- und Gehaltstarifvertrages zwischen der A GmbH, der B Fleischwarenfabrik C GmbH und der Gewerkschaft NGG vom 20.09.2016.

Antragsteller ist der bei der Arbeitgeberin gewählte siebenköpfige Betriebsrat. DieArbeitgeberin produziert im Wesentlichen schimmelgereifte Rohwurst; sie ist streitlos nicht tarifgebunden.

Im Wege eines Betriebsübergangs sind sämtliche Arbeitnehmer der B Fleischwarenfabrik C GmbH zum 01.09.2019 übergegangen. Im Zusammenhang mit dem Betriebsübergang auf die Arbeitgeberin erfolgte zuvor eine Verschmelzung der Firmen A GmbH auf die B Fleischwarenfabrik C GmbH (im Folgenden: "B"). Sowohl die A GmbH (im folgenden nur A) als auch die "B" waren tarifgebunden, und zwar unter anderem im Wege eines gemeinsam zwischen ihnen und der Gewerkschaft NGG abgeschlossenen Lohn- und Gehaltstarifvertrages vom 20.09.2016. Dieser Tarifvertrag regelte unter anderem in dessen § 2 neben den Tariflöhnen auch die jeweiligen Lohngruppen. Auf die Kopie des Tarifvertrages vom 20.09.2016 (im Folgenden: LGTV) Blatt 127 ff. der Akte wird Bezug genommen. Neben dem kraft Tarifgebundenheit beider Unternehmen anzuwendenden LGTV existierten bei A und der "B" unterschiedliche Prämiensysteme.

Die unternehmerischen Umstrukturierungen (Verschmelzung A auf "B" mit anschließendem Betriebsübergang auf die Arbeitgeberin) wurden durch den Abschluss zweier Betriebsvereinbarungen über einen Interessenausgleich begleitet, da sowohl bei der "B" als auch bei A jeweils Betriebsräte gewählt waren. In beiden Interessenausgleichen vom 12.08.2019 befinden sich teilweise identische Regelungen unter anderem des Inhalts, dass die Tarifverträge der "B" die Tarifverträge von A ablösen würden mit anschließender Transformation der Normen der Tarifverträge in die Einzelarbeitsverträge der Beschäftigten. Außerdem verpflichtete sich die Arbeitgeberin für den Zeitraum bis zum 31.08.2020, bei Neueinstellungen in den jeweils abzuschließenden Einzelarbeitsverträgen die Inhalte der Tarifverträge der "B" in der gültigen Fassung zum Zeitpunkt des Abschlusses des Interessenausgleichs als verbindliche einzelvertragliche Vertragsregelungen anzuwenden. Darüber hinaus heißt es in beiden Interessenausgleichen unter § 4 "Umfang der Maßnahme" 4.3 c).:

... dass die C Fleischwarenfabrik GmbH & Co. KG sich verpflichtet, mit den zuständigen Vertretern der Gewerkschaft NGG über den Abschluss von Haustarifverträgen in der Zeit vom 01.09.2019 bis zum 31.08.2020 Verhandlungen aufzunehmen und durchzuführen mit dem Ziel, Tarifverträge zu schließen, die die Flexibilisierung von Arbeitszeiten sowie eine neue Struktur der Lohn- und Gehaltsgruppen beinhalten; ...

Wegen der weiteren Einzelheiten der Interessenausgleiche wird auf die Kopien Blatt 50 ff. der Akte Bezug genommen.

Nach den Erörterungen mit den Beteiligten im Termin zur Anhörung vor der Beschwerdekammer steht fest, dass die in den Interessenausgleichen beschriebenen Tarifvertragsverhandlungen zwar aufgenommen, aber jedenfalls bis zum Anhörungstermin am 06.09.2022 noch nicht abgeschlossen wurden.

Zum 01.01.2021 erfolgte ein Betriebsübergang einer Firma D GmbH auf die Arbeitgeberin.

Mit Schreiben vom 09.08.2021 bzw. 13.08.2021 informierte die Arbeitgeberin den Betriebsrat über eine beabsichtigte Einstellung mehrerer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. In den Anhörungsschreiben war - soweit für das vorliegende Verfahren von Interesse - jeweils ein Einsatz als Produktionsmitarbeiter mit einem Stundenlohn von 10,10 € + 0,35 € = 10,45 € angegeben. Auf die Kopien, die Anlage zur Antragsschrift sind, wird Bezug genommen.

Der Betriebsrat stimmte den jeweiligen Einstellungen ausdrücklich zu, widersprach allerdings der "Einstufung/Eingruppierung" mit der Begründung, die Angabe zum Stundenlohn entspreche nicht der allgemein für diese Tätigkeit im Hause gezahlten Entlohnung. Die betriebliche Lohnordnung für solche Tätigkeiten sehe einen Stundenlohn von 12,51 € vor. Dieser Stundenlohn ents...

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