Entscheidungsstichwort (Thema)
Aussetzung eines Kündigungsrechtsstreits bis zur Entscheidung über die Wirksamkeit einer zuvor ausgesprochenen Kündigung. Kosten eines erfolglosen Beschwerdeverfahrens gegen die Aussetzung des Verfahrens
Leitsatz (amtlich)
1. Die Aussetzung eines nachfolgenden Kündigungsrechtstreits gem. § 148 ZPO, weil über die Wirksamkeit einer zuvor ausgesprochenen Kündigung noch nicht rechtskräftig entschieden worden ist, ist regelmäßig ermessensfehlerhaft.
2. Regelmäßig ist es ebenfalls ermessensfehlerhaft, einen nachfolgenden Annahmeverzugsprozess auszusetzen, weil noch nicht rechtskräftig über eine Kündigung entschieden worden ist, von der die Entgeltansprüche abhängen.
3. Im Beschwerdeverfahren über eine Aussetzungsentscheidung des Arbeitsgerichts ist eine Kostenentscheidung zu treffen, wenn die sofortige Beschwerde erfolglos bleibt.
Normenkette
ZPO § 148; ArbGG § 9 Abs. 1, § 61 a; ZPO § 97
Verfahrensgang
ArbG Hagen (Westfalen) (Entscheidung vom 19.04.2020; Aktenzeichen 1 Ca 1705/19) |
Tenor
Die sofortige Beschwerde der Beklagten gegen den eine Aussetzung des Verfahrens ablehnenden Beschluss des Arbeitsgerichts Hagen vom 19.04.2020 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Gründe
1. Im vorliegenden Verfahren streiten die Parteien um die Wirksamkeit einer auf betriebsbedingte Gründe gestützten Kündigung vom 29.08.2019 zum 31.03.2020.
Bereits mit Kündigung vom 31.05.2019 hatte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger zum 31.08.2019 gekündigt. Mit Urteil vom 03.07.2019 in dem Verfahren beim Arbeitsgerichts Hagen 2 Ca 247/19 wurde dem Kündigungsschutzantrag des Klĭ gers im Wesentlichen mit der Begründung stattgegeben, die Betriebsratsanhörung sei nicht ordnungsgemäß erfolgt. Die gegen diese Entscheidung gerichtete Berufung (3 Sa 1152/19) wurde am 26.02.2020 zurückgewiesen und die Revision nicht zugelassen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
Zwischenzeitlich hat der Kläger die Klage erweitert um die Vergütungsansprüche, auf die er sich das erhaltende Arbeitslosengeld anrechnen lässt, sowie die tarifliche Sonderzahlung.
Die Beklagte hat beantragt,
den vorliegenden Rechtsstreit bis zur rechtskräftigen Entscheidung des vor greiflichen Rechtsstreits, derzeit anhängig beim Landesarbeitsgericht Hamm (3 Sa 1152/19) nach § 148 ZPO i.V.m. § 46 Abs. 2 ArbGG auszusetzen.
Der Kläger hat beantragt,
den Aussetzungsantrag zurückzuweisen.
Das Arbeitsgericht hat den Aussetzungsantrag zurückgewiesen. Es hat ausgeführt, zwar sei der noch nicht rechtskräftig abgeschlossene Kündigungsrechtsstreit vorgreiflich, die Aussetzungsentscheidung unterfalle aber zusätzlich der richterlichen Ermessensausübung, welche sich in den gesetzlichen Grenzen zu halten und an dem gesetzgeberischen Zweck der Vorschrift auszurichten habe. Hier falle die Abwägung zwischen dem Beschleunigungsgebot, dem Annahmeverzugsrisiko der Beklagten und der Prozessökonomie zu Lasten der Aussetzung aus. Im arbeitsgerichtlichen Verfahren habe der Beschleunigungsgrundsatz eine besondere Bedeutung, der die Aussetzung nur im Ausnahmefall zulasse. Im Rechtsstreit über Entgeltansprüche, die von der Wirksamkeit einer Kündigung abhängen, über die bereits eine nicht rechtskräftige Entscheidung zugunsten des Arbeitnehmers ergangen sei, komme eine Aussetzung regelmäßig nicht in Betracht. Einer solchen Aussetzung stehe grundsätzlich entgegen, dass der Arbeitnehmer typischerweise auf seine Vergütung angewiesen sei und sich nicht auf die Inanspruchnahme von Sozialleistungen verweisen lassen müsse. In diesem Fall überwiege das Interesse an der Fortsetzung des Rechtsstreits. Die Tatsache, dass die zweite Kündigung ins Leere gehe, wenn deren Wirksamkeit rechtskräftig festgestellt würde, sei bereits beim Merkmal der Vorgreiflichkeit zu berücksichtigen. Eher gegen eine Aussetzung spreche, dass bislang alle mit den Verfahren befassten Kammern der ersten und zweiten Instanz der gleichen Auffassung gewesen seien, dass die Kündigungen unwirksam seien. Entgegen der Ansicht der Beklagten sei es unerheblich, inwieweit durch die Vollstreckung des Zahlungstitels ein nicht mehr zu ersetzender Nachteil drohe. Dies folge bereits aus § 62 Abs. 1 S. 2 und 3 ArbGG. Auf den vorrangigen Bezug von Sozialleistungen könne der Kläger nicht verwiesen werden, da diese geringer ausfielen als die Nettovergütung und zeitlich befristet seien. Insbesondere die drohende Insolvenzgefahr, die aus dem Vortrag der Beklagten folge, spreche für eine zeitnahe Durchführung des Verfahrens.
Gegen den Beschluss hat die Beklagte am 27.04.2020 sofortige Beschwerde eingelegt, mit der sie weiterhin die Aussetzung des Verfahrens anstrebt. Sie vertritt die Auffassung, das Arbeitsgericht habe die erforderliche Ermessensentscheidung fehlerhaft durchgeführt. Das Arbeitsgericht verkenne, dass trotz des Beschleunigungsgrundsatzes der Gesetzgeber auch im arbeitsgerichtlichen Verfahren die Möglichkeit der Aussetzung vorgesehen habe. Auch wenn bisher alle Kammern der ersten und zwe...