Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorgreiflichkeit des Kündigungsschutzverfahrens. Keine Aussetzung des Annahmeverzugsverfahrens bei existenziellen Interessen des Arbeitnehmers
Leitsatz (redaktionell)
Ausnahmsweise ist der Kündigungsschutzprozess nicht vorgreiflich, wenn es in der Annahmeverzugsklage um existenzielle Interessen des Arbeitnehmers geht. Eine Nichtaussetzung des Verfahrens nach § 148 ZPO ist dann nicht zu beanstanden.
Normenkette
ZPO §§ 91, 148; BGB §§ 611, 615
Verfahrensgang
ArbG Bochum (Entscheidung vom 27.05.2015; Aktenzeichen 3 Ca 895/15) |
Tenor
Die sofortige Beschwerde der Beklagten gegen den eine Aussetzung des Verfahrens ablehnenden Beschluss des Arbeitsgerichts Bochum vom 27.05.2015 - 3 Ca 895/15 wird zurückgewiesen.
Gründe
I. In dem Verfahren 3 Ca 2192/14 beim Arbeitsgericht Bochum streiten die Parteien über die Wirksamkeit einer arbeitgeberseitigen Kündigung. Mit Urteil vom 15.04.2015 hat das Arbeitsgericht die Kündigung für unwirksam gehalten und die Beklagte zur Weiterbeschäftigung des Klägers verurteilt. Über die beim Landesarbeitsgericht unter dem Aktenzeichen 17 Sa 671/15 anhängige Berufung ist noch nicht entschieden. Termin ist anberaumt für den 29.10.2015.
Im vorliegenden Verfahren macht der Kläger Annahmeverzugsansprüche gegen die Beklagte für die Zeit nach Ausspruch der Kündigung vom 01.01.2015 bis zum 30.04.2015 abzüglich erhaltenen Arbeitslosengeldes I geltend.
Mit Schriftsatz vom 15.05.2015 hat die Beklagte wegen Vorgreiflichkeit beantragt, den Annahmeverzugsrechtsstreit bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens auszusetzen. Diesen Antrag hat das Arbeitsgericht mit Beschluss vom 27.05.2015 zurückgewiesen, weil die Aussetzung billigem Ermessen widerspreche und wegen des arbeitsgerichtlichen Beschleunigungsgrundsatzes im Regelfall davon auszugehen sei, dass der Arbeitnehmer auf seine Vergütung angewiesen ist. Gegen den ihn am 10.06. zugestellten Beschluss hat die Beklagte am 19.06.2015 sofortige Beschwerde eingelegt und darauf hingewiesen, das Arbeitsgericht habe in seiner Entscheidung nicht sämtliche Aspekte des Falles zugrunde gelegt, sondern ausschließlich auf das Beschleunigungsgebot des Arbeitsgerichtsgesetzes abgestellt und deswegen nicht alle weiteren Aspekte des Falles berücksichtigt. Bereits deswegen sei der Aussetzungsbeschluss fehlerhaft.
Dem ist der Kläger entgegengetreten, da das Arbeitsverhältnis fortbestehe und er auf die Vergütung angewiesen sei.
Mit Beschluss vom 07.07.2015 hat das Arbeitsgericht der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und ausgeführt, die Gründe, die im Rahmen einer Ermessenserwägung gegen die Aussetzung des Verfahrens sprächen, überwögen. Zwar sei der Kündigungsschutzprozess für den Annahmeverzugsprozess vorgreiflich, dennoch widerspreche eine Aussetzung billigem Ermessen. Der Kläger sei dringend auf seine Vergütung angewiesen. Deswegen sei es ihm nicht zuzumuten, während der Dauer des Berufungsverfahrens auf die Durchsetzung seiner für ihn existenziell bedeutsamen Geldansprüche zu verzichten. Im Kündigungsschutzprozess habe die gleiche Kammer im Urteil darauf abgestellt, weder die unternehmerische Entscheidung noch die Dauerhaftigkeit des Wegfalls der Beschäftigungsmöglichkeit seien substantiiert dargelegt worden. Ob der Beklagten ein anderer Vortrag in der Berufungsinstanz gelinge, könne die Kammer nicht einschätzen.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Prozessakte verwiesen.
II. Die sofortige Beschwerde der Beklagten ist statthaft und form- und fristgerecht eingelegt worden. Sie ist aber nicht begründet.
1. Gemäß § 148 ZPO kann das Gericht, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil vom dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet, anordnen, dass die Verhandlung bis zu Erledigung des anderen Rechtsstreits auszusetzen sei. Dabei reicht die Bejahung der Vorgreiflichkeit für eine Aussetzung der Entscheidung nach § 148 ZPO für sich allein nicht aus, sondern sie unterfällt zusätzlich der richterlichen Ermessensausübung. Dabei hat sich das Ermessen innerhalb der gesetzlichen Grenzen an den gesetzgeberischen Zwecken der Vorschrift zu orientieren. In der Natur der Sache liegt es, dass die Ermessensausübung in erster Linie Aufgabe des erstinstanzlichen Gerichtes ist. Das Beschwerdegericht kann deshalb sein eigenes Ermessen nicht an die Stelle der Ermessensentscheidung des Arbeitsgerichtes setzen. Es prüft nur, ob das Arbeitsgericht den Ermessensspielraum überschritten oder von seinem Ermessen in einer dem Zwecke der Ermächtigung nicht in Übereinstimmung zu bringenden Weise Gebrauch gemacht hat (vgl. LAG Hamm, 10.05.2013 - 7 Ta 155/13; 21.03.2011 - 1 Ta 130/11; 18.10.2010 - 1 Ta 494/10; 14.08.2013 - 1 Ta 379/13; 16.12.2014 - 12 Ta 665/14) oder aber eine Ermessensentscheidung unterblieben ist (LAG Hamm, 14.08.2013 - 1 Ta 379/13). Bei seiner Ermessensentscheidung hat das Arbeitsgericht die Vor- und Nachteile de...