Entscheidungsstichwort (Thema)
Anfechtung einer Betriebsratswahl. Stimmabgabe bei angeordneter Briefwahl. Verstoß gegen wesentliche Wahlvorschriften. Beeinflussung des Wahlergebnisses. rechtsmissbräuchliche Anfechtung
Leitsatz (redaktionell)
Die Regelung des § 25 S. 1 Wahlordnung für die Briefwahl enthält eine zwingende Bestimmung und zählt zu den wesentlichen Vorschriften über das Wahlverfahren. Wesentliche Wahlvorschriften i.S.d. § 19 Abs. 1 BetrVG liegen vor, wenn sie elementare Grundprinzipien der Betriebsratswahl enthalten oder tragende Grundsätze des Betriebsverfassungsrechts berühren.
Normenkette
BetrVG § 19; Wahlordnung § 25; BGB § 242
Verfahrensgang
ArbG Paderborn (Beschluss vom 20.09.2006; Aktenzeichen 3 BV 29/06) |
Nachgehend
BAG (Aktenzeichen 7 ABN 47/07) |
Tenor
Die Beschwerde des Betriebsrats gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Paderborn vom 20.09.2006 – 3 BV 29/06 – wird zurückgewiesen.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Tatbestand
A
Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit einer am 10.05.2006 durchgeführten Betriebsratswahl.
Der Arbeitgeber betreibt bundesweit Drogeriemärkte. Die einzelnen Filialen sind organisatorisch bestimmten Bezirken zugeordnet. Dem Verkaufsbezirk 23x – B3xxxx – gehören etwa 27 Verkaufsstellen an, in denen über 110 Mitarbeiter beschäftigt sind. Im Bezirk B3xxxx war ein fünfköpfiger Betriebsrat gewählt.
Anfang des Jahres 2006 wurde turnusmäßig ein neuer Betriebsrat gewählt. Am 04.04.2006 erließ der Wahlvorstand des Bezirks 23x – B3xxxx – ein Wahlausschreiben (Bl. 20 f.d.A.), wonach am 10.05.2006 von 114 Mitarbeiterinnen ein fünfköpfiger Betriebsrat zu wählen war. Nach Ziffer 13. des Wahlausschreibens vom 04.04.2006 hatte der Wahlvorstand für alle Verkaufsstellen des Bezirks B3xxxx die schriftliche Stimmabgabe nach § 24 Abs. 3 WO beschlossen.
Für die Betriebsratswahl wurden zwei Vorschlagslisten eingereicht. Die Vorschlagsliste I „wir sind für alle da” bestand aus einem Blatt. Die Vorschlagsliste II „ver.di” bestand aus mehreren Blättern. Ob diese Blätter (Bl. 44 ff.d.A.) durch Heftklammer fest miteinander verbunden waren, ist zwischen den Beteiligten streitig.
Für die als Briefwahl durchgeführte Betriebsratswahl wurde jeder Filiale ein großer brauner Freiumschlag zur Verfügung gestellt mit der entsprechenden Anzahl von Erklärungen über die persönliche Stimmabgabe der Mitarbeiter. Weiter wurden für die Stimmzettel kleine Wahlumschläge zur Verfügung gestellt, die jeweils vorfrankiert waren. Die Briefwahl erfolgte dann in der Weise, dass in den jeweiligen Filialen die Erklärungen der Mitarbeiter/innen über die persönliche Stimmabgabe in dem großen braunen Freiumschlag gesammelt wurden, sodass insgesamt 26 große braune Freiumschläge mit den gesammelten Erklärungen beim Wahlvorstand eingingen. In die kleinen Wahlumschläge legten die Mitarbeiter/innen dann jeweils ihre Stimmzettel und sandten diese separat zurück. Beim Wahlvorstand gingen nach dem erstinstanzlichen Vorbringen der Beteiligten insgesamt 94 kleine Wahlumschläge ein; nach dem Protokoll zur Wahlvorstandssitzung am 10.05.2006 (Bl. 108 ff.d.A.) waren es 93 Wahlumschläge mit den jeweiligen Stimmzetteln. Eine Wahlurne wurde bei der Auszählung der Stimmzettel nicht verwendet.
Die Stimmauszählung am 10.05.2006 ergab, dass die Wahlvorschlagsliste I „wir sind für alle da” 27 Stimmen und die Wahlvorschlagsliste II „ver.di” 59 Stimmen erhalten hatte. Sieben Stimmen waren ungültig. Insgesamt waren danach vier Arbeitnehmerinnen von der Vorschlagsliste II und eine Arbeitnehmerin von der Vorschlagsliste I in den Betriebsrat gewählt worden.
Aus Enttäuschung über das Wahlergebnis gaben die Kandidaten/innen der Vorschlagsliste I bereits am Wahlabend bekannt, dass sie ihre Ämter nicht wahrnehmen würden. In der ersten Sitzung des neu gebildeten Betriebsrats vom 11.05.2006 erklärte darüber hinaus die in den Betriebsrat gewählte Kandidatin S7xxxx von der Liste I ihren Rücktritt.
Mit dem am 19.05.2006 beim Arbeitsgericht eingegangenen Antrag machte der Arbeitgeber daraufhin die Unwirksamkeit der Betriebsratswahl vom 10.05.2006 geltend.
Der Arbeitgeber hat die Auffassung vertreten, die Betriebsratswahl vom 10.05.2006 sei anfechtbar, bei der Betriebsratswahl vom 10.05.2006 im Bezirk 23x – B3xxxx – sei gegen wesentliche Vorschriften des Wahlverfahrens verstoßen worden. Er hat bestritten, dass der Wahlvorstand in einer ordnungsgemäßen Sitzung einen ordnungsgemäßen Beschluss zum Erlass des Wahlausschreibens getroffen habe und das Wahlausschreiben ordnungsgemäß bekannt gemacht worden sei. Weiterhin seien keine wirksamen Vorschlagslisten eingereicht worden. Insbesondere habe die Liste II aus mehreren losen Blättern bestanden, wobei eine Frau K3xxxxx nachträglich in die Liste aufgenommen worden sei, obwohl diese bereits Unterschriften enthalten habe.
Bei der Briefwahl seien für die Stimmzettel unterschiedliche Wahlumschläge verwendet worden. Überwiegend habe der Wahlvorstand weiße Wahlumschläge verwendet, wobei bestimmte Verkaufsstellen jedoch...