Entscheidungsstichwort (Thema)

Beiordnung eines Rechtsanwalts trotz Mandatsniederlegung nach abgelehnter Prozesskostenhilfe. Besondere Belastungen im Sinne des § 115 Abs. 1 S. 3 Nr. 5 ZPO. Unterhaltslasten für Kinder aus Lebensgemeinschaft als besondere Belastungen im Rahmen der Prozesskostenhilfe

 

Leitsatz (amtlich)

1. Eine gemäß § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 ZPO zu berücksichtigende besondere Belastung liegt auch in Unterhaltslasten, welche die Partei für die Kinder ihrer Lebensgefährtin bzw. ihres Lebensgefährten erbringt, mit denen sie in einer Bedarfsgemeinschaft nach § 7 Abs. 2 Satz 1 SGB II lebt.

2. Beruht die vor der Entscheidung im von der Partei persönlich geführten Beschwerdeverfahren erfolgte Mandatsniederlegung durch den bevollmächtigten Rechtsanwalt auf einer erstinstanzlichen Ablehnung der Prozesskostenhilfe, die wegen einer sachlich nicht nachvollziehbaren Einkommensermittlung ergangen ist, kann ausnahmsweise eine Beiordnung weiterhin erfolgen.

 

Normenkette

ZPO § 115 Abs. 1 S. 3 Nr. 5, § 121; SGB II § 28; SGB XII § 31

 

Verfahrensgang

ArbG Paderborn (Entscheidung vom 27.01.2022; Aktenzeichen 1 Ca 1187/21)

 

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Paderborn vom 27. Januar 2022 (1 Ca 1187/21) abgeändert.

Dem Kläger wird Prozesskostenhilfe in vollem Umfang für den ersten Rechtszug bewilligt.

Zur Wahrnehmung seiner Rechte in diesem Rechtszug wird ihm Rechtsanwältin A. aus B beigeordnet.

Die Bewilligung erfolgt mit der Maßgabe, dass der Kläger keinen eigenen Beitrag zu den Kosten der Prozessführung zu leisten hat.

 

Gründe

I. Der Kläger erhob unter dem 17. Dezember 2021 eine Kündigungsschutzklage verbunden mit einer allgemeinen Feststellungsklage und beantragte zugleich die Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung seiner bevollmächtigten Rechtsanwältin. Mit Schriftsatz vom 21. Dezember 2021 reichte er die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vom 15. Dezember 2021 nebst drei Belegen ein. In der Erklärung gab er unter anderem an, dass

- er ledig ist und keine Angehörigen hat, denen er Unterhalt gewährt,

- zuletzt für September und Oktober 2021 Einkommen aus nichtselbständiger Arbeit gehabt hat,

- Arbeitslosengeld II beantragt habe,

- am 22. November 2021 Krankengeld erhalten habe,

- mit sechs Personen in einer 5-Zimmer-Wohnung von 105 qm lebt, für die eine Miete einschließlich Heizungs- und Nebenkosten von 900,00 Euro anfalle, von der er allein 0,00 Euro zahle; unter „4. Nutzen Sie den Raum als Mieter oder in einem ähnlichen Nutzungsverhältnis?“ hatte er „mit Lebensgef.“ angegeben.

Bei dem Beleg 1 handelt es sich um einen Änderungsbescheid über vorläufige Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts des Jobcenters Kreis C vom 7. Oktober 2021, wonach der Kläger als Mitglied einer Bedarfsgemeinschaft mit Frau D und deren vier Kindern Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von 60,49 Euro für August 2021 und 41,54 Euro für September 2021 erhalten hatte. Aus der beigefügten Berechnung der Leistungen für diese beiden Monate ergab sich weiter, dass von einem zugrunde gelegten Nettoeinkommen des Klägers in Höhe von 1.600,00 Euro aus gerechnet ein Betrag von 1.320,00 Euro als zu berücksichtigendes Gesamteinkommen auf den Gesamtbedarf der Gemeinschaft anzurechnen ist. Dieses Einkommen war sodann auf die Bedarfe seiner Lebensgefährtin und zweier ihrer Kinder verteilt worden, und zwar in Höhe von

- 488,44/507,39 Euro (August/September) bei der Lebensgefährtin

- 254,42/264,29 Euro (August/September) bei den beiden ältesten Kindern.

Zudem wurden darin Mietkosten (Grundmiete, Heizkosten, Nebenkosten) in Höhe von 887,58 Euro als Bedarf ausgewiesen.

Beleg 2 umfasste einen 27-seitigen Auszug aus dem Girokonto des Klägers für die Zeit vom 1. November 2021 bis 17. Dezember 2021. Daraus ergaben sich unter anderem der Einzug der vom Kläger angegebenen monatlichen Beiträge zu zwei Lebensversicherungen, der Erhalt von Krankengeld am 12. November 2021 (1.188,00 Euro) und am 22. November 2021 (712,80 Euro) und ein Saldo von -13,97 Euro per 17. Dezember 2021. Beleg Nr. 3 betraf die beiden Lebensversicherungen bei der TARGO-Versicherung, einmal unter der Bezeichnung Privat-Rente Komfort, zum anderen unter Reform-Rente Sicherheit (in beiden Fällen Versicherungsbeginn: 1. Juli 2020). Im Hauptsacheverfahren hatte der Kläger seiner Klageschrift eine Lohnabrechnung für den Monat September 2021 beigefügt.

Das Arbeitsgericht forderte mit Schreiben vom 22. Dezember 2021 die Vorlage geeigneter Belege zum Nachweis des aktuellen Lebensunterhalts des Klägers. Zu diesem Zweck solle ein aktueller Bescheid über den Bezug von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts oder von Krankengeld eingereicht werden. Nach Verlängerung der hierfür gesetzten Frist reichte der Kläger über seine Bevollmächtigte mit Schreiben vom 26. Januar 2022 einen von ihm als „aktuell“ bezeichneten Bescheid des Jobcenters vom 21. Dezember 2021 ein, der den Zeitraum Juni bis September 2021 betraf ...

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