Entscheidungsstichwort (Thema)
Einigungsstelle. Zuständigkeit. offensichtliche Unzuständigkeit. Betriebsänderung. Arbeitnehmerzahl. Gemeinschaftsbetrieb. mehrere Unternehmen
Leitsatz (redaktionell)
1. Von einer offensichtlichen Unzuständigkeit der Einigungsstelle kann allgemein nur dann ausgegangen werden, wenn bei fachkundiger Beurteilung durch das Gericht sofort erkennbar ist, dass ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats in der fraglichen Angelegenheit unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt in Frage kommt, sich die beizulegende Streitigkeit zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat erkennbar also nicht unter einen mitbestimmungspflichtigen Tatbestand subsumieren lässt.
2. Dies ist bei der Konstellation einer insoweit umstrittenen Rechtslage nicht anzunehmen.
Normenkette
ArbGG § 98; BetrVG § 111 S. 1
Verfahrensgang
ArbG Münster (Beschluss vom 21.06.2007; Aktenzeichen 2 BV 9/07) |
Tenor
Die Beschwerde der Arbeitgeberinnen zu 1) – 3) gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Münster vom 21.06.2007 – 2 BV 9/07 – wird zurückgewiesen.
Tatbestand
I.
Von der Darstellung des Tatbestandes wurde abgesehen (vgl. § 313a Abs. 1 S. 1 ZPO).
Entscheidungsgründe
II.
Die zulässige Beschwerde der Arbeitgeberinnen zu 1) bis 3) ist unbegründet.
Denn zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Arbeitsgericht den Richter am Bundesarbeitsgericht Krasshöfer zum Vorsitzenden einer Einigungsstelle zwecks Erstellung eines Sozialplanes bestellt.
1. Entgegen der Ansicht der Arbeitgeberseite ist die Einigungsstelle nicht offensichtlich unzuständig (§ 98 Abs. 1 S. 2 ArbGG). Davon kann allgemein nur dann ausgegangen werden, wenn bei fachkundiger Beurteilung durch das Gericht sofort erkennbar ist, dass ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates in der fraglichen Angelegenheit unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt in Frage kommt, sich die beizulegende Streitigkeit zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat erkennbar also nicht unter einen mitbestimmungspflichtigen Tatbestand subsumieren lässt (vgl. z. B. LAG Hamm NZA-RR 2003, 637; Beschluss vom 17.08.2006 – 13 TaBV 59/06; Beschluss vom 09.10.2006 – 10 TaBV 84/06; Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge, ArbGG, 5. Aufl., § 98 Rdnr. 11 m. w. N.). Nur durch eine solche weitgehende Einschränkung der Zuständigkeitsprüfung, die das Bestellungsverfahren nicht mit der (ggfs. zeitraubenden) Lösung schwieriger rechtlicher Probleme belastet, ist gewährleistet, dass eine formal funktionsfähige Einigungsstelle schnell gebildet wird (BAG AP BetrVG 1972 § 76 Nr. 11). In ihr sind dann die aufgeworfenen Rechtsfragen einer Klärung zuzuführen, wobei es anschließend im Rahmen des § 76 Abs. 5 Satz 4 ArbGG dem Arbeitsgericht zukommen kann, in Kammerbesetzung und nicht durch den Vorsitzenden allein eine abschließende Entscheidung zu treffen.
Nach diesen Grundsätzen kann hier von keiner offensichtlichen Unzuständigkeit der Einigungsstelle zur Aufstellung eines Sozialplans (§ 112 Abs. 4 BetrVG) ausgegangen werden.
Allerdings war von der betriebsratsseits reklamierten Betriebsänderung nur das Unternehmen der Arbeitgeberin zu 1) mit zuletzt 19 Beschäftigten betroffen, sodass insoweit der Schwellenwert des § 111 S. 1 BetrVG von in der Regel mehr als 20 Arbeitnehmern nicht überschritten wurde.
In Rechtsprechung und Literatur (z.B. LAG Berlin NZA-RR 2003,477; DKK/Däubler, 10. Aufl., § 111 Rdnr. 24a; ErfK/Kania, 7. Aufl., § 111 Rdnr. 5; Fitting, 23. Aufl., § 111 Rdnr. 23; GK-BetrVG/Oetker, 8. Aufl., § 111 Rdnr. 11; Richardi/Annuß, 10. Aufl., § 111 Rdnr. 26) ist aber umstritten, ob nicht in Konstellationen wie hier, wo sich die Arbeitgeberinnen zu 1) bis 3) zu einem Gemeinschaftsbetrieb mit insgesamt ca. 74 Beschäftigten zusammengeschlossen haben, im Rahmen des § 111 S. 1 BetrVG – entgegen dem Wortlaut – auf die Gesamtzahl aller Arbeitnehmer des Gemeinschaftsbetriebs abzustellen ist. Dafür wird das mit dem Gesetz zur Reform des Betriebsverfassungsgesetzes vom 23.07.2001 (BGBl. I, 1852) verfolgte Ziel ins Feld geführt, das Beteiligungsrecht des Betriebsrates bei Betriebsänderungen zu erweitern und nicht einzuschränken, wofür unter anderem die im Gesetzgebungsverfahren abgegebene Begründung zur Änderung des § 111 BetrVG spricht (vgl. BT-Drucks. 14/5741, Seite 51). Das Bundesarbeitsgericht hat im Beschluss vom 29.09.2004 (1 ABR 39/03 – AP BetrVG 1972 § 99 Versetzung Nr. 40) unter Verweis auf die Gesetzesmaterialien herausgestrichen, die Ersetzung von „Betrieb” durch „Unternehmen” habe der Stärkung und Ausweitung der Kompetenzen des Betriebsrates gedient, um „weiße Flecken auf der Landkarte der betrieblichen Mitbestimmung” zu beseitigen, so dass dem Begriffswechsel keine ausschlaggebende Bedeutung beigemessen werden könne.
In dieser Konstellation einer umstrittenen Rechtslage kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Einigungsstelle offensichtlich unzuständig ist. Vielmehr kommt ihr die Aufgabe zu, die aufgeworfene Rechtsfrage einer Klärung zuzuführen, bevor dann im Falle eines Spruchs gemäß § 76 Abs. 5 S. 4 BetrVG die Möglichkeit eröffnet wär...