Entscheidungsstichwort (Thema)
Zugangsrecht der Gewerkschaft zum Betrieb. Verwirkung des Zugangsrechts für einen Gewerkschaftsbeauftragten. Aufstellung unwahrer Tatsachenbehauptungen und Beleidigung des Geschäftsführers des Arbeitgebers. Wiederholungsgefahr
Leitsatz (redaktionell)
1. Das Zugangsrecht nach § 2 Abs. 2 BetrVG steht den Beauftragten der Gewerkschaften zu, die im Betrieb vertreten sind. Dabei hat die Gewerkschaft selbst darüber zu befinden, wen sie als Beauftragten entsenden will. In Ausübung des Grundrechts der Koalitionsfreiheit nach Art. 9 Abs. 3 GG obliegt die Auswahl der Beauftragten ausschließlich der Gewerkschaft selbst.
2. Die Gewerkschaft verliert ihr Zugangsrecht aus § 2 Abs. 2 BetrVG, wenn ein Fall unzulässiger Rechtsausübung vorliegt. Nur in besonderen Ausnahmefällen kann der Arbeitgeber einem bestimmten Gewerkschaftsbeauftragten aus Gründen, die in dessen Person liegen, den Zutritt zum Betrieb verweigern. Ein Missbrauch der Befugnisse führt zum Wiederaufleben des Hausrechts des Arbeitgebers.
Normenkette
BetrVG § 2 Abs. 2; GG Art. 5 Abs. 1, Art. 9 Abs. 3; BGB § 242; ArbGG § 2a Abs. 1, §§ 10, 83 Abs. 3; ZPO § 253 Abs. 2 Nr. 2
Verfahrensgang
ArbG Detmold (Beschluss vom 16.01.2008; Aktenzeichen 2 BV 74/07) |
Nachgehend
BAG (Aktenzeichen 1 ABN 96/08) |
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Detmold vom 16.01.2008 – 2 BV 74/07 – abgeändert.
Die Arbeitgeberin wird verpflichtet, dem Ersten Bevollmächtigten der IG Metall Verwaltungsstelle L3, Herrn R4 S7, zur Wahrnehmung der Aufgaben der Gewerkschaft nach dem Betriebsverfassungsgesetz freien Zutritt zum Betrieb zu gewähren.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Tatbestand
A
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Arbeitgeberin verpflichtet ist, dem Gewerkschaftssekretär S7 den Zugang zu ihrem Betrieb zu gewähren.
Der Gewerkschaftssekretär S7 ist einer von drei Mitarbeitern der IG Metall, der Antragstellerin und Erster Bevollmächtigter der Verwaltungsstelle D2 und damit zuständiger Fachsekretär für den Betrieb der Arbeitgeberin, einem Betrieb der Metallindustrie, die mit der Entwicklung und Herstellung von Medizinprodukten, insbesondere aus dem Bereich der Zahntechnik befasst ist. Im Betrieb der Arbeitgeberin, in der die Antragstellerin die vertretene Fachgewerkschaft ist, sind derzeit ca. 900 Mitarbeiter beschäftigt. Der im Betrieb gewählte Betriebsrat besteht aus 13 Personen. Die Mehrheit der Mitglieder des Betriebsrats ist Mitglied in der IG Metall.
Im Betrieb der Arbeitgeberin wurde frühzeitig das neue Entgeltrahmenabkommen – ERA – eingeführt. Auf einer Betriebsversammlung vom 11.06.2007 kam es über die Umsetzung des Entgeltrahmenabkommens im Betrieb der Arbeitgeberin zu einer Meinungsverschiedenheit zwischen dem Gewerkschaftssekretär S7, der auf dieser Betriebsversammlung hierzu das Wort ergriff, und dem Geschäftsführer H5, der anschließend die Kritik des Gewerkschaftssekretärs in seinem Redebeitrag in scharfer Form zurückwies.
Im Nachgang zu dieser Betriebsversammlung wandte sich die Antragstellerin schriftlich an die im Betrieb der Arbeitgeberin beschäftigten IG Metall-Mitglieder. Dieses Schreiben wurde vom Ersten Bevollmächtigten der IG Metall, Herrn S7, verfasst. In diesem Schreiben vom 21.06.2007 heißt es:
„[…] einige Tage sind seit der letzten Betriebsversammlung vergangen. Mit dem nötigen Abstand möchten wir Dir auf diese Weise unsere Meinung zu den verbalen Angriffen des Geschäftsführers Herrn H5 gegen die IG Metall mitteilen.
Wir haben intern mit den Mitgliedern des Betriebsrates und unseren Vertrauensleuten die Frage erörtert, ob die Redebeiträge des Betriebsrates und der IG Metall Anlass gegeben haben, uns so zu attackieren.
Wir sind übereinstimmend der Meinung, dass wir keinen Grund geliefert haben und das Verhalten von Herrn H5 absolut unangemessen war. Wir sind allerdings auch der Meinung, dass es unsererseits richtig war, in der Betriebsversammlung nicht in einen Schlagabtausch einzutreten, weil das von der Belegschaft nicht nachvollzogen worden wäre.
Unwidersprochen können wir dieses jedoch auch nicht lassen.
Also diese Form der Ansprache.[…]”
Ob die Redebeiträge von Herrn S7 und von Herrn H5 „intern mit den Mitgliedern des Betriebsrats” und den Vertrauensleuten besprochen und ein Meinungsbildungsprozess herbeigeführt worden ist, ist zwischen den Beteiligten streitig.
Am 29.06.2007 wandte sich das Betriebsratsmitglied Frau N1 K3, auch im Namen von vier weiteren Betriebsratsmitgliedern, per E-Mail an den Gewerkschaftssekretär S7. In dieser E-Mail vom 29.06.2007(Bl. 30 d.A.) heißt es:
„Herr S7, wir, Mitglieder des Betriebsrates von G2. B3, haben Ihr IGM-Rundschreiben vom 21.06.2007 gelesen.
Dass der Betriebsrat übereinstimmend Ihrer Meinung war, ist eine veröffentliche Lüge!
Wie Sie wissen, haben wir diese Thematik niemals gemeinsam besprochen. Daher verbitten wir uns diese Unterstellung!
Wir erwarten Ihre Richtigstellung gegenüber unserer Geschäftsleitung.”
Auf seiner Sitzung vom 02.08.2007 fasst...