Entscheidungsstichwort (Thema)
Beschlussverfahren. Führung eines gemeinsamen Betriebs durch zwei Unternehmen. einheitlicher Leitungsapparat. arbeitgeberübergreifender Personaleinsatz. unternehmerische Zusammenarbeit
Leitsatz (redaktionell)
1. Mit dem Verfahren nach § 18 Abs 2 BetrVG soll unabhängig von einer konkreten Betriebsratswahl eine verbindliche Entscheidung darüber herbeigeführt werden, ob Nebenbetriebe oder Betriebsteile selbstständig sind oder dem Hauptbetrieb zugeordnet werden müssen oder ob ein gemeinsamer Betrieb mehrerer Unternehmen vorliegt. Die Entscheidung in einem Verfahren nach § 18 Abs 2 BetrVG klärt damit eine für die gesamte Betriebsverfassung grundsätzliche und wesentliche Vorfrage, indem sie bei einem Streit darüber verbindlich festlegt, was als „der Betrieb” anzusehen ist, in dem ein Betriebsrat gewählt wird und in dem er seine Beteiligungsrechte wahrnehmen kann.
2. Soll ein gemeinsamer Betrieb von mehreren Unternehmen geführt werden, so müssen sich die beteiligten Unternehmen zur gemeinsamen Führung des Betriebs rechtlich verbunden haben. Eine dahingehende Vereinbarung muss auf eine einheitliche Leitung für die Aufgaben gerichtet sein, die vollzogen werden müssen, um die in der organisatorischen Einheit zu verfolgenden arbeitstechnischen Zwecke erfüllen zu können. Für die Frage, ob der Kern der Arbeitgeberfunktionen in sozialen und personellen Angelegenheiten von derselben institutionalisierten Leitung ausgeübt wird, ist vor allem entscheidend, ob ein arbeitgeberübergreifender Personaleinsatz praktiziert wird, der charakteristisch für den normalen Betriebsablauf ist.
Normenkette
BetrVG § 1 Abs. 1, §§ 2, 18 Abs. 2
Verfahrensgang
ArbG Siegen (Beschluss vom 01.02.2011; Aktenzeichen 1 BV 28/10) |
Tenor
Die Beschwerde des Betriebsrates gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Siegen vom 01.02.2011 – 1 BV 28/10 – wird zurückgewiesen.
Die Rechtsbeschwerde zum Bundesarbeitsgericht wird nicht zugelassen.
Tatbestand
A
Die Beteiligten streiten im vorliegenden Verfahren darüber, ob die Antragstellerinnen im Betriebsratsbezirk S2 einen gemeinsamen Betrieb im Sinne des § 1 Abs. 1 BetrVG führen.
Die Firma A1 S3, die Beteiligte zu 1., betreibt bundesweit Drogeriemärkte. Die einzelnen Verkaufsstellen sind aufgrund eines im Jahre 1995 abgeschlossenen Zuordnungstarifvertrages gemäß § 3 BetrVG (Bl. 109 ff. d. A.) organisatorisch bestimmten Bezirken zugeordnet, denen ein Bezirksleiter vorsteht. Dem Bezirk 123 S2 gehörten Anfang des Jahres 2010 27 Verkaufsstellen mit insgesamt 107 Arbeitnehmern an. Im Bezirk S2 kam es im Jahre 2007 erstmals zur Wahl eines Betriebsrats, dem Beteiligten zu 3..
Die vormals zum Bezirk S2 gehörende Verkaufsstelle in K1 wurde zum 28.01.2009 von der Firma A1 S3, der Beteiligten zu 1., geschlossen. Die Räumlichkeiten mietete sodann die Firma S3 X1 GmbH, die Beteiligte zu 2., an und eröffnete dort eine Filiale. In neuen Regalen wird dort ein Warensortiment von ca. 12.000 Artikeln angeboten – im Vergleich zu ca. 4.000 Artikeln, die zuvor in der Verkaufsstelle K1 der Firma A1 S3 angeboten wurden. In der Filiale K1 sind fünf Arbeitnehmerinnen eingesetzt, wovon eine zuvor bereits bei der Firma A1 S3 tätig war.
Die Arbeitgeberin zu 1. ist ein Einzelhandelsunternehmen, Inhaber ist Herr A1 S3. Auf oberste Ebene im Betrieb der Arbeitgeberin zu 1. fungieren zwei Personaldirektoren. Ansprechpartner der jeweiligen Betriebsräte in personellen und sozialen Angelegenheiten ist zunächst und regelmäßig der für ihn zuständige Bezirksleiter, der die in seinem Bezirk befindlichen Verkaufsstellen betreut. Die Bezirksleiter, von denen es etwa 400 in der Bundesrepublik Deutschland gibt, verfügen über ein sogenanntes mobiles Büro. In wichtigeren Angelegenheiten, etwa bei Abschluss von Betriebsvereinbarungen, fungiert gegenüber dem Betriebsrat auch das übergeordnete Vertriebsbüro oder die Geschäftsführerebene. Im Betrieb der Arbeitgeberin zu 1. sind in der Bundesrepublik Deutschland vier Vertriebsbüros eingerichtet.
Die Arbeitgeberin zu 2., deren alleiniger Gesellschafter Herr A1 S3 ist, wurde im Dezember 2008 gegründet. Die bei Gründung der Arbeitgeberin zu 2. bestellte Geschäftsführerin war zuvor Geschäftsführerin der Tochtergesellschaft der Firma A1 S3 in Österreich. Inzwischen ist Geschäftsführerin der Arbeitgeberin zu 2. Frau G1 R3.
Sowohl die Arbeitgeberin zu 2. wie auch die Arbeitgeberin zu 1. haben ihren Sitz in E1, T1 12-23, und verfügen über identische Telefon- einschließlich der Nebenanschlüsse.
Die Geschäftsführerin der Arbeitgeberin zu 2. ist dort mit zwei Sachbearbeitern tätig und verwaltet die Personalakten von 1.500 bis 2.100 Arbeitnehmern – bei inzwischen ca. 350 Märkten mit jeweils fünf bis sieben Mitarbeitern. Der Geschäftsführung der Arbeitgeberin zu 2. sind deutschlandweit vier Vertriebsleitungen unterstellt, denen ihrerseits die Regionalleitungen unterstellt sind. Die Regionalleitungen sind die Vorgesetzten der Marktverantwortlichen bzw. Verkaufsverantwortlichen (VV), denen alle Mitarbeiter eine...