Entscheidungsstichwort (Thema)
Anschriftenänderung. Anzeige. Beschwerde. Beschwerdefrist. Mandatsbeendigung. Mitteilungspflicht. Nachprüfungsverfahren. Nachsendeauftrag. Prozesskostenhilfe. Rechtsanwalt. Rechtsmittelauftrag. Rechtsmittelbelehrung. Unterschriftserfordernis. Versäumung. Verschulden. Vertrauen. Wiedereinsetzung. Zustellung
Leitsatz (amtlich)
1. Die Zustellung einer die Bewilligung von Prozesskostenhilfe aufhebenden Entscheidung im Nachprüfungsverfahren nach § 120 Abs. 4 ZPO hat an den Prozessbevollmächtigten der Partei, der (auch) für das Prozesskostenhilfebewilligungsverfahren bislang bestellt war, auch dann zu erfolgen, wenn eine Mandatsbeendigung zwar vorliegt, diese entgegen § 87 Abs. 1 ZPO aber nicht angezeigt wurde.
2. Die Wiedereinsetzung wegen der Versäumung der Beschwerdefrist des § 127 Abs. 3 Satz 2 ZPO ist formgerecht beantragt, wenn die Partei als Aussteller trotz fehlender Unterschrift durch die sonstigen Umstände ausgewiesen wird.
3. Erhält die Partei den an ihren Prozessbevollmächtigten zugestellten Beschluss über die Aufhebung von Prozesskostenhilfe vom Arbeitsgericht formlos übersandt, kann sie aufgrund der Rechtsmittelbelehrung grundsätzlich darauf vertrauen, dass die zur Erhebung der Beschwerde nach § 127 Abs. 2 Satz 3 ZPO bestehende Monatsfrist mit der Zusendung an sie beginnt. Etwas anderes gilt nur dann, wenn sie einen Hinweis erhält, dass für den Beginn der Frist die förmliche Zustellung an ihren Bevollmächtigten maßgeblich ist, sei es durch ihren Bevollmächtigten, sei es durch das Gericht.
4. Einer Partei, der Prozesskostenhilfe bewilligt wurde, obliegt es nicht, im Falle eines Wohnungswechsels die geänderte Anschrift von sich aus dem Gericht mitzuteilen. Eine entsprechende gesetzliche Verpflichtung besteht nicht. Sie lässt sich auch nicht aus § 233 ZPO herleiten.
5. Ebenso wenig besteht eine Verpflichtung, im Falle des Wohnungswechsels einen Nachsendeauftrag zu erteilen, wenn kein laufendes Verfahren vorliegt, innerhalb dessen die Partei mit gerichtlichen Mitteilungen oder der Zustellung von gerichtlichen Entscheidungen rechnen muss. Die bloße Ankündigung, dass die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse regelmäßig überprüft werden, setzt ein solches Verfahren nicht in Lauf.
6. Ein Rechtsanwalt ist ohne Rechtsmittelauftrag der Partei nicht verpflichtet, nach pflichtgemäßem Ermessen ein Rechtsmittel einzulegen. Er kann nur zu einer Nachfrage bei der Partei verpflichtet sein, wenn er den konkreten Anlass zur Sorge hat, dass die Mitteilung über ein von ihm empfohlenes Rechtsmittel verloren gegangen ist, oder wenn ihm der Standpunkt des Mandanten, unter allen Umständen ein Rechtsmittel einzulegen, bereits bekannt ist.
Normenkette
ZPO §§ 114, 120 Abs. 4, § 127 Abs. 3 S. 2, § 233
Verfahrensgang
ArbG Hamm (Beschluss vom 12.04.2008; Aktenzeichen 2 Ca 663/07) |
Tenor
Unter Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Beschwerdefrist wird auf die sofortige Beschwerde des Klägers der Beschluss des Arbeitsgerichts Hamm vom 12. April 2010 (2 Ca 663/07) aufgehoben. Es verbleibt bei der mit Beschluss vom 30. April 2007 bewilligten Prozesskostenhilfe.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
Gründe:
Die nach § 11 Abs. 1 RPflG, § 46 Abs. 2 Satz 3, § 78 ArbGG, § 127 Abs. 2, § 567 ZPO statthafte sofortige Beschwerde ist zulässig und begründet.
1. Die Versäumung der Beschwerdefrist des § 127 Abs. 2 Satz 3 ZPO führt nicht zur Unzulässigkeit des Rechtsmittels, weil dem Kläger gemäß § 233 ZPO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist.
a) Der Kläger hat die im Prozesskostenhilfeverfahren die für sofortige Beschwerde bestehende Frist von einem Monat gemäß § 127 Abs. 2 Satz 3 ZPO versäumt. Der Beschluss des Arbeitsgerichts vom 12. April 2010 wurde dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 20. April 2010 zugestellt. Die einmonatige Beschwerdefrist lief am 20. Mai 2010 ab. Der als sofortige Beschwerde auszulegende „Widerspruch” des Klägers vom 20. Mai 2010 ging erst nach Ablauf der Frist am 26. Mai 2010 beim Arbeitsgericht ein.
aa) Entgegen der Auffassung des Klägers ist die Zustellung an seinen früheren Prozessbevollmächtigten wirksam erfolgt. Der im Hauptverfahren als Bevollmächtigter auftretende Rechtsanwalt war auch für das Prozesskostenhilfeverfahren als Bevollmächtigter bestellt, weil er für den Kläger den Antrag gestellt und begründet hat. Gemäß § 81 ZPO erfasst die einem Bevollmächtigten erteilte Vollmacht für ein Verfahren auch dessen Wiederaufnahme. Um eine solche Wiederaufnahme des Verfahrens handelt es sich beim Nachprüfungsverfahren des § 120 Abs. 4 ZPO. Gemäß § 172 Abs. 1 Satz 2 ZPO sind in solchen Fällen Zustellungen an den Verfahrensbevollmächtigten – und nicht an die Partei – vorzunehmen. Die dem Prozessbevollmächtigten für das Prozesskostenhilfeverfahren erteilte Vollmacht ist auch im Nachprüfungsverfahren zu beachten (vgl. zum Ganzen: BAG, 19. Juli 2006, 3 AZB 18/06, juris = NZA 2006, 1128 (red. Ls.)).
bb) Es ist unerheblich, ob nach Beendigung d...