Entscheidungsstichwort (Thema)
Bewilligung von Prozesskostenhilfe bei Privatinsolvenz. Kostenübernahme seitens der Gewerkschaft aufgrund wahrheitswidriger Angaben
Leitsatz (redaktionell)
Ein Gericht kann die Verfahrenskostenhilfebewilligung bei absichtlich oder aus grober Nachlässigkeit gemachten falschen Angaben des Antragstellers auch dann aufheben, wenn die Bewilligung nicht auf diesen Angaben beruht, sofern die falschen Angaben jedenfalls generell geeignet erscheinen, die Entscheidung über die Verfahrenskostenhilfe zu beeinflussen. Wird eine bewilligte Verfahrenskostenhilfe in Anwendung dieser Vorschrift widerrufen, wirkt sich der Sanktionscharakter dahin aus, dass die staatliche Leistung nachträglich entzogen wird und der Antragsteller zur Erstattung der Kosten und Auslagen herangezogen werden kann. Der Rechtsgedanke des § 124 Abs. 1 Nr. 2 ZPO ist aber nicht bereits im Bewilligungsverfahren anzuwenden, da die Versagung von Prozesskostenhilfe wegen falscher Angaben eine deutlich weiter reichende Folge hätte als die - nachträgliche - Aufhebung, nämlich dass das beabsichtigte Verfahren überhaupt nicht geführt werden kann, letztendlich also der Zugang zum Rechtsschutz insgesamt versagt bleibt.
Normenkette
ZPO § 115 Abs. 1 S. 1, § 118 Abs. 2 S. 4, § 124 Abs. 1 Nr. 2
Verfahrensgang
ArbG Herne (Entscheidung vom 01.03.2022; Aktenzeichen 5 Ca 2146-21) |
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten vom 07.03.2022 gegen den Prozesskostenhilfe-Bewilligungsbeschluss des Arbeitsgerichts Herne vom 01.03.2022 - 5 Ca 2146/21 - wird der Beschluss abgeändert.
Der Beklagten wird Prozesskostenhilfe im Umfang der Bewilligung gemäß des Beschlusses vom 01.03.2022 bewilligt mit der Maßgabe, dass die Beklagte keine Raten aus ihrem Einkommen zu zahlen hat.
Für die Staatskasse wird die Rechtsbeschwerde zugelassen.
Gründe
Die Beklagte begehrt die Bewilligung ratenfreier Prozesskostenhilfe für die Verteidigung gegen eine gegen sie angestrengte Zahlungsklage.
Die Beklagte war bei der Klägerin bis zum 20.04.2016 zuletzt als Kassiererin beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete aufgrund fristloser Kündigung der Klägerin, da gegen die Beklagte der Vorwurf bestand, dass diese aus der Kasse der Klägerin 115.00,00 € entnommen und sich zugeeignet hatte. Die gegen die Kündigung erhobene Kündigungsschutzklage wurde rechtskräftig abgewiesen durch Urteil des LAG Hamm vom 24.10.2019, 17 Sa 1038/18. Mit der vorliegenden Klage machte die Klägerin den Ersatz der veruntreuten Gelder geltend. Diesbezüglich hatte die Klägerin zunächst am 09.11.2021 einen Mahnbescheid über den eingeklagten Betrag erhoben.
Das Verfahren vor dem Arbeitsgericht ist gem. § 240 ZPO unterbrochen, da unter dem 18.02.2022 über das Vermögen der Beklagten das Insolvenzverfahren bei dem Amtsgericht Bochum, Az: 88 IK 77/22, eröffnet worden ist. Die Mitteilung hierüber erging an das Arbeitsgericht am 01.03.2022. Nachdem das Verfahren sechs Monate nicht betrieben worden war, ist es ausgetragen worden.
In der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse hatte die Beklagte unter der Rubrik "B" zum Bestehen von Rechtsschutz folgendes angegeben:
Mit Schreiben vom 24.02.2022 (Bl. 14 PKH-Akte) stellte das Arbeitsgericht diverse Nachfragen, bezüglich der Beantwortung der Fragen zum Bestehen von Rechtsschutz wurden keine Nachfragen gestellt. Nach Beantwortung wurde unter dem 01.03.2022 die Vorprüfung erstellt, welche eine Ratenzahlungsverpflichtung von 430,00 € ergab.
Mit Beschluss vom 01.03.2022 wurde der Beklagten Prozesskostenhilfe mit Wirkung zum 23.02.2022 bewilligt mit der Maßgabe, dass diese aus ihrem Einkommen monatliche Raten von 430,00 € zu zahlen habe.
Gegen diesen der Beklagten am 14.03.2022 zugestellten Beschluss wendet sie sich mit der am 17.03.2022 bei Gericht eingegangenen sofortigen Beschwerde, in der sie insbesondere auf ihre Vermögenslosigkeit und fehlendes Einkommen im Hinblick auf das eröffnete Insolvenzverfahren verwiesen hat.
Mit Schreiben vom 21.03.2022 bat das Arbeitsgericht, die tatsächlich bestehende Abführungspflicht der über das pfändbare Einkommen hinausgehenden Beträge an den Insolvenzverwalter nachzuweisen. Mit Schreiben vom 22.03.2022 erklärte die Beklagte, dass Forderungen der Staatskasse gegen sie im Hinblick auf das eröffnete Insolvenzverfahren nicht mehr geltend gemacht werden könnten. Der angefragte Nachweis erfolgte nicht. Allerdings legte die Beklagte Kontoauszüge vor, aus denen sich eine Gewerkschaftsmitgliedschaft ergab.
Mit Schreiben vom 20.04.2022 erbat daher das Arbeitsgericht den Nachweis, dass eine Vertretung durch eine Gewerkschaft/Berufsverband im Vorfeld abgelehnt worden ist. In der Folge legte die Beklagte ein Anschreiben der Gewerkschaft ver.di vom 18.05.2022 (Bl. 126 PKH-Akte) vor, in dem mitgeteilt wurde, dass in Verfahren wegen Vorsatztaten kein Rechtsschutz gewährt werden könne.
Nach längerem Prüfungsverfahren wurde sodann durch Nichtabhilfeentscheidung vom 31.07.2023 der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und der Sachver...