Verfahrensgang

ArbG Bielefeld (Beschluss vom 19.02.1985; Aktenzeichen 1 Ca 86/85)

 

Tenor

Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluß des Arbeitsgerichts Bielefeld vom 19.02.1985 aufgehoben.

Das Arbeitsgericht wird angewiesen, dem Verfahren Fortgang zu geben.

Diese Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. Die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahren fallen gesamtschuldnerisch den Beklagten zur Last.

 

Tatbestand

Der Kläger hat gegen die Beklagte zu 1) die gerichtliche Feststellung erstritten, daß sein Arbeitsverhältnis durch die Kündigungen der Beklagten zu 1) vom 31.05. und 29.06.1984 nicht aufgelöst worden sei. In der Entscheidung ist maßgebend darauf abgestellt worden, daß es an der in § 102 BetrVG vorgeschriebenen Betriebsratsanhörung fehle. Hinsichtlich der Kündigung vom 31.05.1984 könnten die Erörterungen in der Betriebsversammlung vom 14.05.1984 nicht im Sinne einer Betriebsratsunterrichtung über beabsichtigte Kündigungen gewürdigt werden; mindestens seien unzureichende Informationen gegeben worden. Im Hinblick auf die Kündigung vom 29.06.1984 könnten die Mitteilungen auf der Betriebsversammlung vom 19.06.1984 nicht als ordnungsgemäße Einleitung des Anhörungsverfahrens nach § 102 BetrVG angesehen werden. Gleichermaßen unzulänglich seien die dem Betriebsratsvorsitzenden am 20.06.1984 gegebenen Erläuterungen. Die Beklagte zu 1) hat gegen das Urteil des Arbeitsgerichts vom 19.12.1984 – 2 Ca 1384/84 – Berufung eingelegt, über die noch nicht entschieden worden ist (11 Sa 171/85).

Im vorliegenden Rechtsstreit macht der Kläger die hinter dem Kündigungstermin fällig gewordenen Bezüge für September 1984 bis Januar 1985 unter Abzug des erhaltenen Arbeitslosengeldes geltend. Die Klage ist gleichzeitig gegen den Beklagten zu 2) als den persönlich haftenden Gesellschafter der Beklagten zu 1) gerichtet worden. Das Arbeitsgericht hat die Verhandlung und Entscheidung des Rechtsstreits bis zum rechtskräftigen Abschluß des Kündigungsprozesses ausgesetzt.

Hiergegen hat der Kläger Beschwerde eingelegt. Zur Begründung ist vorgetragen worden, daß der Aussetzungsbeschluß der Prozeßverschleppung Vorschub leiste, überdies drohten ihm bei dem derzeitigen Liquidationsstand der Beklagten zu 1) wesentliche Nachteile, wenn es bei der Verfahrensaussetzung bleibe.

Die Beklagten sind der Beschwerde entgegengetreten. Sie gehen mit dem Arbeitsgericht davon aus, daß es unumgänglich sei, den Ausgang des Kündigungsprozesses abzuwarten, bevor im Zahlungsprozeß entschieden werden könne.

Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze und die beigezogenen Akten des Kündigungsprozesses verwiesen.

 

Entscheidungsgründe

II

Die nach § 252 ZPO an sich statthafte und auch sonst zulässige Beschwerde hatte Erfolg. Die Verfahrensaussetzung erscheint dem Beschwerdegericht nicht gerechtfertigt.

Nach § 148 ZPO kann das Gericht die Aussetzung der Verhandlung und Entscheidung des Rechtsstreits anordnen, wenn die Entscheidung ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist. Ob eine Aussetzung zu erfolgen hat, steht grundsätzlich im freien Ermessen des Gerichts (BAG vom 16.10.1967 AP Nr. 1 zu § 394 BGB). Das Ermessen ist jedoch nach Lage des Falles in einem engeren oder weiteren Rahmen auszuüben. Ist in einem anderweitig anhängigen Verfahren eine Entscheidung zu treffen, die sich unmittelbar gestaltend auf das anhängige Verfahren auswirkt, so wird die Aussetzung vielfach überhaupt nicht zu umgehen sein. In anderen Fällen handelt es sich um mittelbare Abhängigkeiten, die Zweckmäßigkeitsgesichtspunkte ins Spiel bringen und einen weiteren Ermessensrahmen eröffnen. Hier müssen die Insgesamt eingreifenden Gesichtspunkte gegeneinander abgewogen werden.

In diesem Rahmen verlangen die Besonderheiten des Arbeitsgerichtsprozesses Beachtung. Insbesondere ist dem das ganze Verfahren bestimmenden Beschleunigungsgrundsatz Rechnung zu tragen. Das Bundesarbeitsgericht hat schon im Jahre 1968 hervorgehoben, daß der Verfahrensaussetzung im Arbeitsgerichtsprozeß, insbesondere in Kündigungsstreitigkeiten, Bedenken entgegenstehen (BAG vom 08.08.1968 AP Nr. 57 zu § 626 BGB Bl. 4 R). In einer älteren Entscheidung ist es dementsprechend für unbedenklich gehalten worden, über eine nachgeschobene zweite Kündigung sachlich zu entscheiden, obwohl die Entscheidung über die erste Kündigung noch ausstand (BAG vom 23.09.1958 AP Nr. 6 zu § 611 BGB Dienstordnungs-Angestellte Bl. 5).

Die Verfahrensaussetzung steht im arbeitsgerichtlichen Verfahren – wie die Kammer im Beschluß vom 20.10.1983 EzA § 148 ZPO Nr. 14 = MDR 1984, 173 = AR-Blattei, Kündigungsschutz Entsch. 245 (L) = DB 1983, 2579 (L) hervorgehoben hat – in einem Spannungsfeld einander widersprechender Verfahrensgrundsätze. Die besonderen Vorschriften des Arbeitsgerichtsprozesses sind darauf zugeschnitten, dem Arbeitnehmer als dem...

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