Verfahrensgang
ArbG Paderborn (Beschluss vom 09.06.1995; Aktenzeichen 2 BV 16/95) |
Tenor
Auf die Beschwerde des Betriebsrats wird der am 09.06.1995 verkündete Beschluß des Arbeitsgerichts Paderborn – 2 BV 16/95 – abgeändert.
Der Direktor des Arbeitsgerichts Bielefeld, W. K., wird zum Vorsitzenden einer Einigungsstelle betreffend Anzeige- und Nachweispflichten im Krankheitsfall bestellt. Die Zahl der von jeder Seite zu benennenden Beisitzer wird auf 2 festgesetzt.
Tatbestand
I
Der antragstellende Betriebsrat begehrt die gerichtliche Bestellung eines Einigungsstellenvorsitzenden und die Festlegung der Zahl der Beisitzer der Einigungsstelle.
Der beteiligte Arbeitgeber beschäftigt in P. etwa 5300 Arbeitnehmer. Auf die Arbeitsverhältnisse finden die Tarifverträge für die Eisen-, Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalens Anwendung. Am 04.12.1984 schlossen Arbeitgeber und Betriebsrat eine Betriebsvereinbarung über die „Meldung von Arbeitsverhinderung wegen Krankheit” ab (Bl. 11 d.A.). Nachdem am 01.06.1994 das Entgeltfortzahlungsgesetz in Kraft getreten war, kündigte der Arbeitgeber die Betriebsvereinbarung vom 04.12.1984. In der Folgezeit verhandelten die Beteiligten ohne Ergebnis über eine neue Betriebsvereinbarung.
Der Betriebsrat hat beantragt,
den Direktor des Arbeitsgerichts Bielefeld W. K. zum Vorsitzenden einer Einigungsstelle betreffend Anzeige- und Nachweispflicht im Krankheitsfall zu bestellen und die Zahl der von jeder Seite zu benennenden Beisitzer auf 2 festzusetzen.
Der Arbeitgeber hat beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Nach Anhörung der Beteiligten hat das Arbeitsgericht den Antrag des Betriebsrats durch einen am 09.06.1995 verkündeten Beschluß zurückgewiesen. Zur Begründung hat das Arbeitsgericht unter anderem ausgeführt, die Einigungsstelle sei offensichtlich unzuständig, weil das Entgeltfortzahlungsgesetz eine abschließende gesetzliche Regelung der Anzeige- und Nachweispflicht enthalte.
Gegen diesen ihm am 21.06.1995 zugestellten Beschluß hat der Betriebsrat durch einen am 03.07.1995 bei dem Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Beschwerde eingelegt. Er hat seine Beschwerde zugleich schriftsätzlich begründet.
Der Betriebsrat beantragt,
in Abänderung des angefochtenen Beschlusses nach den erstinstanzlichen Anträgen des Betriebsrats zu entscheiden.
Der Arbeitgeber beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Wegen des zweitinstanzlichen Vertrags der Beteiligten wird auf die Beschwerdeschrift des Betriebsrats vom 30.06.1995 und auf den Schriftsatz des Arbeitgebers vom 24.07.1995 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
II
Die Beschwerde des Betriebsrats ist zulässig. Sie ist auch begründet. Der angefochtene Beschluß war abzuändern und dem Antrag des Betriebsrats war stattzugeben.
Gemäß § 98 Abs. 1 Satz 2 ArbGG kann der Antrag des Betriebsrats nur dann wegen fehlender Zuständigkeit der Einigungsstelle zurückgewiesen werden, wenn die Einigungsstelle offensichtlich unzuständig ist. Das ist dann der Fall, wenn offensichtlich ist, daß das vom Betriebsrat in Anspruch genommene Mitbestimmungsrecht nicht gegeben ist. Hier ist die Einigungsstelle aber nicht offensichtlich unzuständig. Gegenstand der Einigungsstelle soll die Regelung von Anzeige- und Nachweispflicht im Krankheitsfall sein. Hier kommt ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats aus § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG in Betracht. Nach dieser Vorschrift hat der Betriebsrat mitzubestimmen in Fragen der Ordnung des Betriebes und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb. Das Bundesarbeitsgericht hat entschieden, daß Vorschriften über die Pflicht des Arbeitnehmers, im Falle einer Krankheit ein ärztliches Attest vorzulegen, eine Frage der Ordnung des Betriebes und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb betrifft (BAG, Urteil v. 27.06.1990 – 5 AZR 314/89 – EzA § 3 LFG Nr. 12; BAG, Beschluß v. 05.05.1992 – 1 ABR 69/91 – EzA § 87 BetrVG 1972 Betriebliche Ordnung Nr. 19). Angesichts dieser Rechtsprechung kann nicht angenommen werden, das vom Betriebsrat hier geltend gemachte Mitbestimmungsrecht bestehe offensichtlich nicht.
Das Mitbestimmungsrecht ist auch nicht deshalb offensichtlich ausgeschlossen, weil eine gesetzliche Regelung besteht. § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG schließt das Mitbestimmungsrecht aus, wenn eine an und für sich mitbestimmungspflichtige Angelegenheit inhaltlich und abschließend durch Gesetz oder Tarifvertrag geregelt ist. Die Regelungen des § 5 EGFZG über Anzeige- und Nachweispflichten können das Mitbestimmungsrecht aber nur dann und insoweit ausschließen, wenn entweder der Arbeitgeber selber nichts bestimmen kann, weil das Gesetz die Angelegenheit inhaltlich und abschließend so geregelt hat, daß der Arbeitgeber ohne Entscheidungsspielraum das Gesetz anwenden muß, oder wenn das Gesetz dem Arbeitgeber zwar einen Entscheidungsspielraum läßt, aber der Gesetzgeber das Mitbestimmungsrecht ausschließen und dem Arbeitgeber ein einseitiges Bestimmungsrecht einräumen wollte (BAG, Beschluß v. 06.11.1990 – 1 ABR 88/89 – EzA § 87 BetrVG 1972 Nr. 15, zu B II 2...