Entscheidungsstichwort (Thema)
Beschlussverfahren, Unterlassung der Anwendung eines Punktesystems bei der Sozialauswahl. Mitbestimmung bei Auswahlrichtlinien. Zuständigkeit des örtlichen Betriebsrats oder des Gesamtbetriebsrats. einstweilige Verfügung
Leitsatz (redaktionell)
Dem Betriebsrat steht grundsätzlich ein Unterlassungsanspruch zu, wenn der Arbeitgeber bei der Anwendung von Auswahlrichtlinien das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats verletzt. Ein Verfügungsgrund besteht jedoch nicht, wenn die Anwendung der Auswahlrichtlinie zwischen den Beteiligten streitig ist.
Normenkette
ArbGG § 85 Abs. 2; BetrVG § 50 Abs. 1, § 95 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Gelsenkirchen (Beschluss vom 21.02.2008; Aktenzeichen 1 BVGa 1/08) |
Tenor
Die Beschwerde des Betriebsrats gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Gelsenkirchen vom 21.02.2008 – 1 BVGa 1/08 – wird zurückgewiesen.
Gründe
A.
Der Betriebsrat begehrt im Wege der einstweiligen Verfügung von der Arbeitgeberin die Unterlassung der Anwendung eines Punktesystems beim bevorstehenden Ausspruch betriebsbedingter Kündigungen.
Die Arbeitgeberin, ein Unternehmen mit bundesweit 74 Einzelhandelsfilialen betreibt u.a. in L1 ein Warenhaus mit ca.30 Arbeitnehmern. Im Betrieb in L1 ist ein dreiköpfiger Betriebsrat gebildet, der Antragsteller im vorliegenden Verfahren.
Ferner existiert im Unternehmen der Arbeitgeberin ein Gesamtbetriebsrat, der Beteiligte zu 3.
Am 08.11.2007 schloss die Arbeitgeberin mit dem Gesamtbetriebsrat einen Interessenausgleich ab, der einen unternehmensweiten Personalabbau von 502 Vollbeschäftigten vorsieht, um die Personalkosten des Unternehmens auf 12 % der jeweiligen Filiale, gemessen an dem geplanten Umsatz vom Stand 31.07.2007, der jeweiligen Filiale, zu reduzieren.
Von diesem vereinbarten Personalabbau ist auch die Filiale L1 betroffen.
Auf die Bestimmungen der Gesamtbetriebsvereinbarung vom 08.11.2007 (Bl. 7 ff d.A.) wird Bezug genommen.
Während der Interessenausgleichsverhandlungen wurde mit dem Gesamtbetriebsrat auch die Frage einer einheitlichen Sozialauswahl für alle Filialen diskutiert. Zu einer Regelung über eine einheitliche Sozialauswahl für alle Beschäftigten in den betroffenen Filialen kam es jedoch nicht, auch nicht in dem am 27.11.2007 abgeschlossenen Sozialplan.
Am 17.01.2008 übergab der Geschäftsleiter Henkel der Filiale L1 dem Betriebsrat eine Liste der in L1 beschäftigten Verkaufsmitarbeiter sowie ein Sozialpunkteschema, nach dem die Betriebszugehörigkeit je vollem Jahr der ununterbrochenen Betriebszugehörigkeit mit 1 Punkt, das Lebensalter gestaffelt von 0 bis zu 9 Punkten, die Unterhaltspflichten mit 3 Punkten für Verheiratete und 5 Punkten für jedes unterhaltsberechtigte Kind laut Steuerkarte sowie die Schwerbehinderung mit 1 Punkt je 10 Grad der Behinderung bewertet wurde. Nach diesem Sozialpunkteschema (Bl. 13 d.A.), das für andere Filialen der Arbeitgeberin entwickelt worden war, wurde für alle Mitarbeiter des Betriebes in L1 die entsprechende Punktzahl errechnet (Bl. 14 ff d.A.).
Nachdem der Betriebsrat gegenüber der Arbeitgeberin bei der Erstellung von Auswahlrichtlinien ein Mitbestimmungsrecht nach § 95 BetrVG für sich in Anspruch genommen hatte, begann die Geschäftsleitung der Filiale in L1, die ebenfalls von der Gesamtbetriebsvereinbarung vom 08.11.2007 betroffen war, mit einer Reihe von Mitarbeitern Gespräche über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu führen. Mit Schreiben vom 21.01.2008 (Bl. 18 d.A.) forderte der Betriebsrat daraufhin die Geschäftsleitung auf, es zu unterlassen, das Punkteschema anzuwenden. Die Arbeitgeberin reagierte hierauf jedoch nicht.
Am 23.01.2008 gingen beim Betriebsrat Anhörungsschreiben zur betriebsbedingten Kündigung bzw. Änderungskündigung von sechs Arbeitnehmerinnen der Filiale L1 ein. Danach war die Sozialauswahl nach dem oben bezeichneten Punkteschema vorgenommen worden (Bl. 19 ff d.A.).
Mit dem am 25.01.2008 beim Arbeitsgericht Detmold eingeleiteten Beschlussverfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung machte der Betriebsrat daraufhin die Unterlassung der Anwendung dieses Punktesystems geltend.
Durch Beschluss des Arbeitsgerichts Detmold vom 01.02.2008 (48 ff d.A.) wurde das Verfahren unter Hinweis auf die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats an das Arbeitsgericht Gelsenkirchen verwiesen.
Der Betriebsrat hat die Auffassung vertreten, er könne von der Arbeitgeberin die Unterlassung der Anwendung des Punktesystems verlangen. Dieses von der Arbeitgeberin angewendete Punkteschema enthalte Auswahlrichtlinien nach § 95 BetrVG, die mit dem zuständigen örtlichen Betriebsrat nicht abgestimmt seien. Das Mitbestimmungsrecht stehe dem örtlichen Betriebsrat zu, nicht dem Gesamtbetriebsrat, der gerade in dem mit der Arbeitgeberin ausgehandelten Interessenausgleich nicht festgelegt habe, nach welchen Kriterien die Sozialauswahl bei auszusprechenden betriebsbedingten Kündigungen erfolgen solle. Ein zwingendes Erfordernis einer betriebsübergreifenden Auswahlrichtlinie bestehe nicht, weil es bei der Sozialauswahl au...