Entscheidungsstichwort (Thema)

Auswahlrichtlinien und soziale Auswahl

 

Leitsatz (amtlich)

Die vom Arbeitgeber für konkret anzusprechende betriebsbedingte Kündigung aufgestellten Punktesysteme für die zu treffende Sozialauswahl stellen keine Auswahlrichtlinien im Sinne des § 95 Abs. 1 Satz 1 BetrVG dar.

 

Normenkette

BetrVG § 95 Abs. 1 S. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Hannover (Beschluss vom 02.05.2003; Aktenzeichen 13 BV 21/02)

 

Nachgehend

BAG (Beschluss vom 26.07.2005; Aktenzeichen 1 ABR 29/04)

 

Tenor

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Hannover vom 02.05.2003, Az. 13 BV 21/02, wird zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

 

Tatbestand

I.

Der Betriebsrat verlangt im vorliegenden Verfahren die Untersagung, ohne seine Zustimmung bzw. Ersetzung seiner Zustimmung durch Entscheidung der Einigungsstelle bei Kündigungen. Systeme, nach den die Sozialauswahl der zu kündigenden Beschäftigten vorgenommen wird, anzuwenden.

Der Antragsteller ist der im Betrieb der Antragsgegnerin gebildete Betriebsrat. Bei der Arbeitgeberin werden ca. 200 Arbeitnehmer vorwiegend im Verkaufsbereich beschäftigt. Die Arbeitgeberin informierte den Betriebsrat am 21. November 2002 darüber, dass sie einen Personalabbau in einem Volumen von 14,44 Mitarbeiterinnen/Mitarbeiter vornehmen wolle. Sie legte in diesem Zusammenhang die Personalplanung für H. 2003 vor. Mit vorgelegt wurden Mitarbeiterlisten verschiedener Bereiche, wobei entsprechend einem vorab vorgenommenen Punkteschema Punkte für das Alter, die Beschäftigungsjahre, Schwerbehinderteneigenschaft, Familienstand und Kinder gegeben wurde. Jeder Arbeitnehmerin/jedem Arbeitnehmer war insoweit ein Punktestand zugewiesen. Hiernach wollte die Arbeitgeberin die Sozialauswahl im Rahmen der betriebsbedingten Kündigungen durchführen. Wegen des Inhalts der Personalplanung sowie der Mitarbeiterlisten wird auf diese (Bl. 4 bis 6 d. A.) verwiesen.

Die Arbeitgeberin sprach zum ersten Mal betriebsbedingte Kündigungen aus. Sie überreichte dem Betriebsrat darüber hinaus eine 27seitige Ausarbeitung bezüglich der Notwendigkeit der Betriebsbedingtheit der Kündigungen (Bl. 23 bis 49 d. A.).

Der Betriebsrat wurde seitens der Arbeitgeberin bezüglich der ordentlichen Kündigungen angehört. Dabei bediente sich die Arbeitgeberin bezüglich der Sozialauswahl des entwickelten Punktesystems (vgl. Bl. 52 bis 54 d. A.).

Die Arbeitgeberin sprach daraufhin Kündigungen aus. Sämtliche Kündigungsschutzverfahren sind zwischenzeitlich abgeschlossen.

Der Betriebsrat hat die Auffassung vertreten, dass das von ihr ausgewählte Punktesystem eine Auswahlrichtlinie gemäß § 95 BetrVG sei, die nicht ohne seine Zustimmung angewandt werden könne.

Auswahlrichtlinien reduzierten sich nicht auf die Übernahme eines abstrakten Punkteschemas. Auswahlrichtlinien seien viel mehr dann inhaltlich gut, wenn sie die konkret bevorstehende personalplanerische Maßnahme betrachteten und konkrete situationsbezogene Kriterien entwickelten, die dann natürlich auch Geltung haben müssten für weitere personelle Veränderungen wie Kündigungen oder Versetzungen. Wenn die Arbeitgeberin einen generellen Katalog zusammenstelle, nach welchen Kriterien die Mitarbeiter im Rahmen der Sozialauswahl ermittelt werden, die gekündigt werden sollen, stelle dies eine Auswahlrichtlinie dar.

Der Betriebsrat hat beantragt,

der Arbeitgeberin zu untersagen, ohne Zustimmung des Betriebsrates bzw. Ersetzung der Zustimmung durch Entscheidung der Einigungsstelle bei Kündigungen Punktesysteme, nach denen die Sozialauswahl der zu kündigenden Beschäftigten vorgenommen wird, anzuwenden.

Die Arbeitgeberin hat beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Sie hat die Auffassung vertreten, dass es sich bei der Verwendung des Punkteschemas um keine Auswahlrichtlinien im Sinne des § 95 BetrVG gehandelt habe. Dieses Punkteschema sei für einen konkreten Anlass, nämlich die auszusprechenden Kündigungen erstellt worden. Ein Punkteschema aus Anlass von betriebsbedingten Kündigungen stelle aber keine Auswahlrichtlinien dar, weil die Arbeitgeberin damit nur ihrer Verpflichtung zur Sozialauswahl nachkomme.

Durch Beschluss des Arbeitsgerichts Hannover vom 2. Mai 2003 wurde der Antrag des Betriebsrates zurückgewiesen.

Wegen des Inhaltes dieses Beschlusses wird auf diesen (Bl. 104 bis 106 R. d. A.) verwiesen.

Dieser Beschluss wurde dem Betriebsrat am 17. Juni 2003 zugestellt. Hiergegen legte er am 16. Juni 2003 Beschwerde ein und begründete diese gleichzeitig.

Zur Begründung der Beschwerde trägt der Betriebsrat vor, es sei für die Definition von Auswahlrichtlinien nicht erforderlich, dass sich diese auch auf alle zukünftigen Kündigungen beziehen würden. Das Gesetz differenziere nicht danach, ob eine Auswahlrichtlinie nur im Einzelfall angewandt werde oder auf Dauer angelegt sei. Bei einer mitbestimmten Auswahlrichtlinie handele es sich um eine Betriebsvereinbarung, die unter Einhaltung der Kündigungsfristen gemäß § 77 BetrVG gekündigt werden könne, also auch nicht für alle zukünftigen Kündigungen...

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