Entscheidungsstichwort (Thema)

Erfolgsaussicht. Hinweispflicht. Rechtsschutzgleichheit

 

Leitsatz (amtlich)

1. Das Gebot der Rechtsschutzgleichheit von bemittelten und unbemittelten Parteien erfordert es bei der Ablehnung eines Prozesskostenhilfeantrags, dass hinsichtlich der richterlichen Hinweispflichten ein ebenso strenger Maßstab anzulegen ist wie in einem Hauptsacheverfahren (vgl. BVerfG, 12. November 2007, 1 BVR 48/05, FamRZ 2008, 136).

2. Ebenso wie bei Mängeln in den Angaben zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen (vgl. dazu LAG Hamm, 8. November 2001, 4 Ta 708/01, LAG Report 2002, 89) kann das Arbeitsgericht nach Eingang des Prozesskostenhilfegesuchs nicht bis zur Instanz- bzw. Verfahrensbeendigung warten und dann den Prozesskostenhilfeantrag wegen fehlender Erfolgsaussicht zurückweisen. Es muss vielmehr so rechtzeitig unter Fristsetzung auf Mängel des Gesuchs hinweisen, dass diese vor dem (nächsten) Termin, der je nach dem Zeitpunkt der Einreichung des Prozesskostenhilfeantrags bzw. der Unterlagen der Güte- oder Kammertermin sein kann, und damit vor einer (möglichen) Instanz- oder Verfahrensbeendigung behoben werden können.

 

Normenkette

GG Art. 3 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3; ZPO §§ 114, 139

 

Verfahrensgang

ArbG Herford (Beschluss vom 29.04.2011; Aktenzeichen 2 Ca 430/11)

 

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Herford vom 29. April 2011 abgeändert und zur Klarstellung wie folgt neu gefasst:

Der Klägerin wird für den ersten Rechtszug Prozesskostenhilfe in vollem Umfang mit Wirkung vom 7. April 2011 bewilligt.

Zur Wahrnehmung ihrer Rechte in diesem Rechtszug wird ihr Rechtsanwältin L1 beigeordnet.

Die Bewilligung der Prozesskostenhilfe erfolgt mit der Maßgabe, dass die Klägerin keinen eigenen Beitrag zu den Kosten der Prozessführung zu leisten braucht.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

 

Gründe

Die gemäß § 46 Abs. 2 Satz 3, § 78 Satz 1 ArbGG, § 127 Abs. 2 Satz 2 und 3, §§ 567 ff. ZPO zulässige sofortige Beschwerde der Klägerin vom 4. Mai 2011 ist begründet. Das Arbeitsgericht hat zu Unrecht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe wegen fehlender hinreichender Erfolgsaussicht im Sinne des § 114 ZPO verweigert.

1. Gemäß § 114 ZPO erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Insoweit ist es erforderlich, aber auch ausreichend, dass bei summarischer Prüfung eine gewisse Wahrscheinlichkeit für ein Obsiegen des Antragstellers besteht und das Prozesskostenhilfegesuch den gesetzlichen Mindestanforderungen genügt. Der Rechtsstandpunkt des Antragsstellers muss aus der Sicht des Gerichts zumindest vertretbar und ein Prozesserfolg unter Berücksichtigung des gegnerischen Prozessvorbringens wahrscheinlich sein (vgl. Kalthoener/Büttner/Wrobel-Sachs, Prozess- und Verfahrenskostenhilfe, Beratungshilfe, 5. Auflage, 2010, Rdnr. 408 f. m.w.N.). Verweigert werden darf die Prozesskostenhilfe nur dann, wenn ein Erfolg in der Hauptsache zwar nicht schlechthin ausgeschlossen, die Erfolgschance aber nur eine entfernte ist (vgl. BVerfG, 13. Juli 2005, 1 BvR 175/05, NJW 2005, 3489). § 114 ZPO sieht die Gewährung von Prozesskostenhilfe bereits dann vor, wenn nur hinreichende Erfolgsaussichten für den beabsichtigten Rechtsstreit bestehen, ohne dass der Prozesserfolg schon gewiss sein muss (vgl. BVerfG, 10. August 2001, 2 BvR 569/01, AP GG Art. 19 Nr. 10). Der Rechtsstandpunkt der Prozesskostenhilfe begehrenden Partei muss vom Gericht aufgrund ihrer Sachdarstellung und der vorhandenen Unterlagen mindestens für vertretbar gehalten werden (vgl. Zöller/Geimer, ZPO, 28. Auflage, 2010, § 114 Rdnr. 19). Insbesondere darf keine vorweggenommene Entscheidung der Hauptsache im Rahmen der Prozesskostenhilfeprüfung erfolgen (vgl. Kalthoener/Büttner/Wrobel-Sachs, a.a.O., Rdnr. 409; Zöller/Geimer, a.a.O.).

2. Bei Anwendung dieser Grundsätze im vorliegenden Fall konnte der Klägerin die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nicht wegen mangelnder Erfolgsaussicht verweigert werden.

a) Mit ihrer Klage macht die Klägerin einen Zahlungsanspruch von 7.915,00 Euro (brutto) geltend. Sie hat zur Begründung vorgetragen, dass nach dem von ihr vorgelegten Arbeitsvertrag ihre Arbeitszeit jeweils zwei Stunden an sechs Wochentagen bei einer monatlichen Vergütung von 145,00 Euro betragen habe. In der Vergütung sei gemäß § 10 des Arbeitsvertrages mit 0,60 Euro pro Stunde das Urlaubsentgelt enthalten. Unter Berufung auf das Zeugnis der Zeugin W1 hat sie vorgetragen, dass sie mindestens zwei Stunden täglich gearbeitet habe, oftmals bis zu drei Stunden und auf Weisung auch an Sonntagen, ohne dafür eine Vergütung erhalten zu haben. Schließlich hat sie unter Schilderung ihrer Tätigkeit (Einsatz im C1-Fachmarkt in L2, Sortierung der an diesen gelieferten Backwar...

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