Entscheidungsstichwort (Thema)

Umfang der Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung bei Maßnahmen gegenüber schwerbehinderten Arbeitnehmern. Anhörung der Schwerbehindertenvertretung vor Abmahnung

 

Leitsatz (redaktionell)

Anträge der Schwerbehindertenvertretung auf Entfernung einer Abmahnung aus der Personalakte eines schwerbehinderten Arbeitnehmers wegen fehlender Unterrichtung und Anhörung sind unbegründet, da die Voraussetzungen des § 178 Abs. 2 S 1 SGB IX nicht erfüllt sind.

 

Normenkette

SGB IX § 178 Abs. 2 S. 1; ZPO § 256 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Münster (Entscheidung vom 03.07.2020; Aktenzeichen 4 BV 4/20)

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Arbeitgeberin - unter Zurückweisung der Beschwerde der Schwerbehindertenvertretung - wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Münster vom 03.07.2020 - 4 BV 4/20 - teilweise abgeändert und der Tenor insgesamt wie folgt neu gefasst:

Die Anträge werden abgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

 

Gründe

A. Die Beteiligten streiten um den Umfang der Pflicht der Arbeitgeberin zur Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung vor Ausspruch von Abmahnungen bei schwerbehinderten Menschen und ihnen Gleichgestellter; konkret geht es auch um die Entfernung dreier Abmahnungen.

Antragstellerin ist die im A Betrieb der Arbeitgeberin gewählte Schwerbehindertenvertretung.

Dem schwerbehinderten Arbeitnehmer D wurden unter dem 21. und 23.10.2019 sowie 19.12.2019 drei Abmahnungen erteilt, in denen ihm die eigenmächtige Niederlegung der Arbeit, ein nicht ordnungsgemäßes Abmeldeverhalten im Zusammenhang mit einer Arbeitsunfähigkeit sowie eine eigenmächtige Urlaubsverlängerung vorgeworfen wurden. Hinsichtlich der Einzelheiten wird verwiesen auf die mit arbeitgeberseitigem Schriftsatz vom 20.05.2020 eingereichten Kopien (Blatt 53 ff. der Akten).

Nachdem die Schwerbehindertenvertretung von der ersten Abmahnung erfahren hatte, machte sie bei der Arbeitgeberin mit Schreiben vom 29.10.2019 (Blatt 9 f. der Akten) erfolglos die "Rücknahme" und "Entfernung" geltend. Zugleich erging die Aufforderung, die Beteiligungsrechte zukünftig einzuhalten.

Die Schwerbehindertenvertretung hat die Auffassung vertreten, sie sei in ihren Zuständigkeitsbereich vor Ausspruch von Abmahnungen gemäß § 178 Abs. 2 Satz 1 SGB IX zu beteiligen. Dafür spreche auch die in § 167 Abs. 1 SGB IX niedergelegte Pflicht zur möglichst frühzeitigen Einschaltung der Schwerbehindertenvertretung im Falle des Eintritts personen-, verhaltens- und betriebsbedingter Schwierigkeiten.

Im Falle des Arbeitnehmers D könne nicht beurteilt werden, ob die ihm vorgehaltenen Pflichtverletzungen mit seiner Schwerbehinderung im Zusammenhang stehen würden. Gerade diese Prüfung müsse ihr, der Schwerbehindertenvertretung, durch eine entsprechende Information ermöglicht werden. Nach § 178 Abs. 2 Satz 2 SGB IX müsse die Durchführung oder Vollziehung einer ohne Beteiligung getroffenen Entscheidung ausgesetzt werden. Dies könne vorliegend nur dadurch erfolgen, dass die Abmahnung aus der Personalakte entfernt werde. Da überdies die Arbeitgeberin das Beteiligungsrecht verletzt habe, sei ein Unterlassungsanspruch gegeben.

Die Schwerbehindertenvertretung hat beantragt,

  1. die Arbeitgeberin zu verpflichten, die Abmahnungen des Mitarbeiters D vom 21.10.2019, 23.10.2019 und 19.12.2019 aus der Personalakte des Mitarbeiters D zu entfernen,

    hilfsweise,

    die Arbeitgeberin zu verpflichten, die dem Mitarbeiter D erteilten Abmahnungen vom 21.10.2019, 23.10.2019 und 19.12.2019 auszusetzen und die Antragstellerin über die erteilten Abmahnungen und die den Abmahnungen zugrunde liegenden Sachverhalte umfassend zu informieren und vor einer endgültigen Entscheidung über die Erteilung der Abmahnungen anzuhören,

  2. der Arbeitgeberin aufzugeben, es bei Meidung eines Ordnungsgeldes in Höhe von bis zu 10.000 € für jeden Fall der Zuwiderhandlung zu unterlassen, schwerbehinderten Menschen oder den schwerbehinderten Menschen Gleichgestellte im Betrieb abzumahnen, ohne zuvor die Schwerbehindertenvertretung über die beabsichtigten Abmahnungen und die diesen Abmahnungen zugrunde liegenden Sachverhalt umfassend unterrichtet und angehört zu haben,

    hilfsweise,

    festzustellen, dass die Arbeitgeberin verpflichtet ist, die Schwerbehindertenvertretung vor Ausspruch einer Abmahnung gegenüber einem Schwerbehinderten oder den schwerbehinderten Menschen gleichgestellten Arbeitnehmer über die beabsichtigte Abmahnung und den diese Abmahnung zugrunde liegenden Sachverhalt umfassend zu unterrichten und anzuhören, soweit der Beteiligten zu 2.) die Schwerbehinderung oder die Gleichstellung bekannt ist.

Die Arbeitgeberin hat beantragt,

die Anträge abzuweisen.

Sie hat die Meinung vertreten, die konkret ausgesprochenen drei Abmahnungen ständen in keinem Zusammenhang mit der Schwerbehinderung des Arbeitnehmers D. Gerade aus der einschränkenden Bestimmung des § 178 Abs. 2 Satz 1 SGB IX folge auch, dass die Schwerbehindertenvertretung nicht allgemein, sondern nur dann von Abmahnungen zu unterrichten sei, wenn konkret ein "Berührtsei...

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