Entscheidungsstichwort (Thema)
Nutzung des elektronischen Rechtsverkehrs durch Syndikusrechtsanwälte. Prozesshandlungen des bevollmächtigten Verbandes durch seine "mit der Prozessvertretung beauftragten Vertreter"
Leitsatz (amtlich)
Syndikusrechtsanwälte und -anwältinnen, die für einen als Prozessvertreter der Partei bevollmächtigten Verband nach außen erkennbar im Rechtsverkehr als Syndikusrechtsanwälte/-anwältinnen auftreten, unterliegen bei Ausübung dieser Tätigkeit der Pflicht zur Nutzung des elektronischen Rechtsverkehrs gemäß § 46g ArbGG durch Einsatz des für sie in dieser Eigenschaft persönlich eingerichteten beA.
Syndikusrechtsanwälte und -anwältinnen sind die einen Schriftsatz verantwortende Person im Sinne des § 46c Abs. 3 Satz 1 Var. 2 ArbGG. Dies wird nicht dadurch infrage gestellt, dass Prozessvertreter der Partei der Verband ist, bei dem Erstere angestellt sind (im Anschluss an LAG Hamm 03.05.2022, 14 Sa 1381/21).
Normenkette
ArbGG § 46c Abs. 1, 3, §§ 46g, 11 Abs. 2 S. 3; BRAO §§ 31a, 31b; ZPO § 79 Abs. 2 S. 3; BGB § 164
Verfahrensgang
ArbG Gelsenkirchen (Entscheidung vom 18.01.2022; Aktenzeichen 4 Ca 937/21) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Gelsenkirchen vom 18.01.2022 - 4 Ca 931/21 - wird kostenpflichtig als unzulässig verworfen.
Die Revisionsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
A. Die Parteien streiten über das Bestehen eines Provisionsanspruchs.
Der Kläger war in der Zeit vom 03.02.2020 bis zum 28.02.2021 bei der Beklagten als kaufmännischer Angestellter im Vertrieb beschäftigt.
Mit der am 21.06.2021 beim Arbeitsgericht Gelsenkirchen eingegangenen Klage hat der Kläger Zahlung von Provisionen in Höhe von 1.417,40 EUR brutto verlangt und sich dazu auf eine mündliche Provisionsvereinbarung berufen, die er mit dem Ehemann der Geschäftsführerin der Beklagten geschlossen hätte.
Die Beklagte hat das Vorliegen einer Provisionsvereinbarung sowie auch die entsprechende Vollmacht des Ehemanns der Geschäftsführerin bestritten.
Das Arbeitsgericht hat der Klage vollumfänglich stattgegeben. Nach Durchführung einer Parteivernehmung ist es zu der Würdigung gelangt, der Kläger habe mit dem Ehemann der Geschäftsführerin eine mündliche Provisionsabrede getroffen, die sich die Beklagte jedenfalls nach den Grundsätzen der Anscheinsvollmacht zurechnen lassen müsse.
Gegen dieses ihr am 28.01.2022 zugestellte Urteil vom 18.01.2022 hat die Beklagte durch den Arbeitgeberverband A e.V. vorab per Telefax am 24.02.2022 und später per Originalschriftsatz Berufung beim Landesarbeitsgericht Hamm eingelegt. Der Berufungsschriftsatz wurde ausdrücklich kenntlich gemacht als von "Syndikusrechtsanwalt/Fachanwalt für Arbeitsrecht" B. stammend (vgl. Bl. 53 d.A.). Ein elektronischer Eingang der Berufung auf sicherem Übermittlungsweg per besonderem elektronischen Anwaltspostfach erfolgte indes nicht.
Die Berufungsbegründung wurde ebenfalls per Telefax sowie durch Originalschriftsatz, eingereicht, nicht jedoch auf elektronischem Weg.
Bereits mit Schriftsatz vom 04.05.2022 rügte der Kläger die Zulässigkeit der Berufung; das Landesarbeitsgericht unterbreitete daraufhin den Parteien unter dem 12.05.2022 einen Vergleichsvorschlag nach § 278 Abs. 6 ZPO und verwies in der erläuternden Begründung ebenfalls auf die ungeklärte Problematik der aktiven Nutzungspflicht des elektronischen Rechtsverkehrs für die als Vertreter des Arbeitgeberverbandes auftretenden Syndikusrechtsanwälte.
Erneut mit Hinweis vom 30.08.2022 wies das Landesarbeitsgericht darauf hin, dass über die Zulässigkeit der Berufung nunmehr durch Beschluss entschieden werden sollte, da es zu der Rechtsauffassung neige, eine aktive Nutzungspflicht des elektronischen Rechtsverkehrs für Syndikusrechtsanwälte zu bejahen und gab den Parteien Gelegenheit zur Stellungnahme.
B. Die Berufung war mangels formwirksamer Einlegung als unzulässig zu verwerfen.
I. Für den auf Seiten der Beklagten als Prozessbevollmächtigten auftretenden Arbeitgeberverband A e.V. hat Syndikusrechtsanwalt B. am 24.02.2022 Berufung beim Landesarbeitsgericht Hamm eingelegt, diese allerdings lediglich in Papierform übermittelt.
II. Die Einlegung der Berufung erfolgte nicht formwirksam.
Seit dem 01.01.2022 war der für den Arbeitgeberverband handelnde Syndikusrechtsanwalt jedoch gemäß §§ 64 Abs 6 ArbGG, § 519 Abs. 4 ZPO i.V.m. §§ 46g, 46c ArbGG verpflichtet, das für ihn eingerichtete besondere elektronische Anwaltspostfach (im Folgenden beA) zu nutzen.
1. Gemäß § 46g Satz 1 ArbGG sind vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen, die durch einen Rechtsanwalt, durch eine Behörde oder durch eine juristische Person des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihr zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse eingereicht werden, als elektronisches Dokument zu übermitteln (sog. aktive Nutzungspflicht). Näheres zur Ausgestaltung des elektronischen Dokuments regelt § 46c ArbGG. Für die Rechtsanwaltschaft ist dazu als sog. sic...