Entscheidungsstichwort (Thema)
Annahmeverzug. bäswilliges Unterlassen anderweitigen Erwerbs. Versetzung. Unzumutbarkeit. Fahrzeit
Leitsatz (amtlich)
Kein „böswilliges Unterlassen anderweitigen Erwerbs” bei unzumutbar langer Pendelzeit.
Kann der Arbeitgeber wegen Schließung einer Niederlassung die dort tätige Arbeitnehmerin am bisherigen vertraglichen Einsatzort nicht mehr beschäftigen und erweist sich die ausgesprochene betriebsbedingte Kündigung wegen bestehender Schwangerschaft der Arbeitnehmerin als unwirksam, so überschreitet die (im Arbeitsvertrag vorbehaltene) Versetzung in eine andere Filiale die Grenze billigen Ermessens, wenn die Arbeitnehmerin auf die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel angewiesen ist und je Strecke eine Fahrtzeit von mehr als zwei Stunden anfällt. Das gilt auch dann, wenn es sich um die einzige geeignete freie Stelle handelt.
Normenkette
BGB § 615 S. 2; SGB III § 121
Verfahrensgang
ArbG Iserlohn (Urteil vom 28.11.2006; Aktenzeichen 5 Ca 1741/06) |
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Iserlohn vom 28.11.2006 – 5 Ca 1741/06 – teilweise abgeändert:
- Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin als Arbeitsvergütung für den Zeitraum Mai bis einschließlich September 2006 10.000,00 EUR brutto zu zahlen nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins aus dem Nettobetrag von je 2.000,00 EUR brutto seit dem 01.06., 01.07., 01.08., 01.09. und 01.10.2006.
- Die Beklagte wird verurteilt, auf das Depot der Klägerin bei der H5 I1 GmbH bei der V1- und W1 AG Hamburg, Kontonummer 71, Bankleitzahl
- Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.
- Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Mit ihrer Klage verlangt die Klägerin, welche aufgrund schriftlichen Arbeitsvertrages (Bl. 24 ff. d.A.) bei der Beklagten als kaufmännische Angestellte gegen ein monatliches Bruttoentgelt von 2.000,– EUR zuzüglich vermögenswirksamer Leistungen beschäftigt ist und bis zur Schließung der Niederlassung Iserlohn dort eingesetzt war, die Zahlung von Arbeitsvergütung unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzuges für die Monate Mai bis einschließlich September 2006. Zuvor hatte die Beklagte gegenüber sämtlichen Beschäftigten der Niederlassung Iserlohn eine betriebsbedingte Kündigung zum 30.04.2006 ausgesprochen. Durch rechtskräftig gewordenes Urteil des Arbeitsgerichts Iserlohn vom 08.06.2006 (4 Ca 947/06) ist die Unwirksamkeit der gegenüber der Klägerin ausgesprochenen Kündigung mit Rücksicht auf die Tatsache festgestellt worden, dass die Klägerin im Zeitpunkt des Kündigungsausspruchs dem Sonderkündigungsschutz nach § 9 Abs. 1 MuschG unterfiel. Mit Schreiben vom 11.05., 16.06. und 21.08.2006 bot die Beklagte der Klägerin die Aufnahme einer Beschäftigung in der Niederlassung Oberhausen gegen Fahrkostenerstattung an, was die Klägerin mit der Begründung ablehnte, die Anreise nach Oberhausen erfordere, da sie auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen sei, einen Zeitaufwand von 2 1/2 Stunden je Strecke.
Durch Urteil vom 28.11.2006 (Bl. 74 ff. d.A.), auf welches wegen des weiteren Sachverhalts und der erstinstanzlichen Klageanträge verwiesen wird, hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt worden, der Klägerin stehe der verfolgte Vergütungsanspruch nicht zu. In Anbetracht der Tatsache, dass die Klägerin die Aufnahme einer Tätigkeit in der Niederlassung Oberhausen verweigert habe, habe es am erforderlichen Leistungswillen der Klägerin gefehlt. Den Umständen nach sei allein noch eine Beschäftigung in der Filiale Oberhausen, nicht hingegen in den Filialen Bochum und Witten möglich gewesen. Auf der Grundlage der im Arbeitsvertrag enthaltenen Versetzungsklausel sei die Beklagte auch berechtigt gewesen, eine entsprechende Änderung des Einsatzortes vorzunehmen. Mangels anderweitiger Alternativen entspreche die Zuweisung des Einsatzortes in der Filiale Oberhausen auch billigem Ermessen im Sinne des § 315 BGB.
Mit ihrer rechtzeitig eingelegten und begründeten Berufung wendet sich die Klägerin unter Wiederholung und Vertiefung des erstinstanzlichen Vorbringens gegen den Standpunkt des arbeitsgerichtlichen Urteils, die Voraussetzungen des Annahmeverzuges scheiterten am Gesichtspunkt des fehlenden Leistungswillens. Aufgrund der unwirksamen Kündigung zum 30.04.2006 sei die Beklagte ohne weiteres ab diesem Zeitpunkt in Annahmeverzug geraten, ohne dass die Klägerin ihre Arbeitsleistung noch habe anbieten müssen. Schon in der Erhebung der Kündigungsschutzklage liege im Übrigen ein schlüssiges Arbeitsangebot. Der so begründete Annahmeverzug sei auch nicht durch die Arbeitsaufforderung der Beklagten mit Schreiben vom 11.05.2006 und später beendet worden. Allein die Aufforderung des Arbeitgebers an den Arbeitnehmer, für die Dauer des Kündigungsrechtsstreits die Beschäftigung aufzunehmen, sei nicht geeignet, den einmal begründeten Annahmeverzug zu beenden. Für die Monate Mai bis Dezember...