Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsbedingte Kündigung und Betriebsratsanhörung in der Insolvenz
Leitsatz (amtlich)
1. Den Insolvenzverwalter trifft keine Pflicht, mit dem Betriebsrat einen Interessenausgleich mit Namensliste i.S.d. § 125 Abs. 1 InsO abzuschließen. Kommt ein solcher Interessenausgleich nicht zustande, dann verbleibt es für die Überprüfbarkeit ausgesprochener Kündigungen des Insolvenzverwalters bei den allgemeinen Regelungen und Grundsätzen des Kündigungsschutzgesetzes, insbesondere bei der Darlegungs- und Beweislast des § 1 Abs. 2 S. 4 KSchG.
2. Das Anhörungsverfahren nach § 102 BetrVG kann in die Verhandlung über den Interessenausgleich nach §§ 111, 112 BetrVG aufgenommen werden. In einem solchen Falle kann die abschließende Stellungnahme des Betriebsrats zu den Kündigungen (Zustimmung zu den Kündigungen, Kenntnisnahme) im Interessenausgleich festgehalten werden (LAG Hamm, Urt. v. 16.01.2002 – 2 Sa 1133/01, LAGReport 2002, 246 = ZInsO 2002, 644).
Normenkette
InsO § 125 Abs. 1; KSchG § 1 Abs. 2; BetrVG § 102 Abs. 1, §§ 111-112
Verfahrensgang
ArbG Rheine (Urteil vom 25.06.2003; Aktenzeichen 3 Ca 2307/02) |
Tenor
Auf die Berufung des Beklagten das Urteil des Arbeitsgerichts Rheine vom 25.06.2003 (3 Ca 2307/02) abgeändert:
Die Klage wird kostenpflichtig abgewiesen.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 14.210,47 EUR festgesetzt.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Rechtswirksamkeit einer ordentlichen Kündigung.
Der Beklagte ist der durch Beschluß des Amtsgerichts Münster vom 01.11.2002 – 71 IN 97/02 – zum Insolvenzverwalter der A.W. (Insolvenzschuldnerin) bestellte Insolvenzverwalter. Bei der Insolvenzschuldnerin war der am 08.04.1956 geborene Kläger seit dem 01.09.1990 als Reisender auf Provisionsbasis beschäftigt. Er erzielte ein durchschnittliches monatliches Einkommen auf der Grundlage der letzten zwölf Monatsprovisionen in Höhe von 4.736,82 EUR.
Nach dem Protokoll vom 19.11.2002 über die Anhörung des Betriebsrats nach § 17 KSchG und § 102 BetrVG, welches vom Betriebsratsvorsitzenden und vom Beklagten als Insolvenzverwalter unterzeichnet ist, standen an diesem Tage auf der Tagesordnung folgende Punkte:
1) Der Insolvenzverwalter informiert über den Stand des Verfahrens.
2) Der Insolvenzverwalter begründet seinen Entschluß zur Betriebsstillegung und die geplanten Massenentlassungen.
3) Die Personalliste mit den Kündigungsterminen wird übergeben.
4) Die Rechte der Arbeitnehmer mit Sonderkündigungsschutz werden erörtert.
5) Der Verwalter informiert über Sozialplan und Interessenausgleich und übergibt Vertragsentwürfe hierzu
6) Sonstiges.
Am 28.11.2002 schloß der Beklagte mit dem Betriebsrat der Insolvenzschuldnerin ein Interessenausgleich und ein Sozialplan. Der Interessenausgleich sieht die Betriebsstillegung und die Entlassung sämtlicher Mitarbeiter vor. Mit Schreiben vom 29.11.2002 kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis des Klägers zum 28.02.2003.
Hiergegen hat der Kläger sich mit seiner beim Arbeitsgericht am 16.12.2002 eingegangenen Klage zur Wehr gesetzt. Er hat das Vorliegen betrieblicher Gründe in Abrede gestellt und die ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats nach § 102 BetrVG und § 17 KSchG gerügt.
Der Kläger hat beantragt,
festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung des Beklagten vom 29.11.2002 nicht aufgelöst worden ist, sondern fortbesteht.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hat behauptet, der Betriebsrat sei am 19.11.2002 zur Kündigung sämtlicher Mitarbeiter angehört worden. Gegenüber dem zuständigen Arbeitsamt Rheine sei mit Schreiben vom 28.11.2002 die Massenentlassung angezeigt worden. Sämtlichen Mitarbeitern sei am 29.11.2002 gekündigt worden. Im Hinblick auf die Situation des Unternehmens und mangels Chance zur Fortführung sei der Geschäftsbetrieb mit Ablauf des 31.01.2001 endgültig eingestellt worden.
Das Arbeitsgericht Rheine hat das Urteil vom 25.06.2003 (3 Ca 2307/02) der Klage stattgegeben und festgestellt, daß das zwischen dem Kläger und der Insolvenzschuldnerin bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung des Beklagten vom 29.11.2002 nicht aufgelöst worden ist, sondern fortbesteht, dem Beklagten die Kosten des Rechtsstreits auferlegt und den Wert des Streitgegenstandes auf 14.210,47 EUR festgesetzt.
Gegen das ihm am 06.08.2003 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 18.08.2003 Berufung eingelegt und diese am 06.10.2003 begründet.
Er rügt, daß das Arbeitsgericht es rechtsfehlerhaft unterlassen habe, ihm einen rechtzeitigen Hinweis zu erteilen, daß aus Sicht des Gerichts kein ausreichender Sachvortrag nebst Beweisantritt zum Kündigungsgrund gegeben sei. Erst in den Urteilsgründen fänden sich entsprechende Ausführungen zu diesem Punkt. Nach seiner Bestellung habe er sofort am 01.11.2002 den Entschluß gefaßt, den gesamten Geschäftsbetrieb der Insolvenzschuldnerin sofort einzustellen. Im Vollzug der Stillegungsentscheidung habe er einen Teil der Arbeitnehmer, insgesamt 34 Arbeitnehmer, bereits an diesem Tage ...