Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsbedingte Kündigung. Interessenausgleich mit Namensliste. Betriebsänderung. Vermutung der Betriebsbedingtheit. sekundäre Behauptungslast. Darlegungs- und Beweislast im Kündigungsschutzprozess
Leitsatz (amtlich)
Trotz der gesetzlichen Vermutung des § 1 Abs. 5 Satz 1 KSchG können sich aus § 138 Abs. 1 und 2 ZPO Mitwirkungspflichten des Arbeitgebers ergeben. Hat der Arbeitnehmer keine eigene Kenntnis über den Wegfall von Beschäftigungsmöglichkeiten im Betrieb und fehlen dazu auch nähere Angaben im Interessenausgleich, muss der Arbeitgeber auf einfaches Bestreiten des Arbeitnehmers aufgrund einer ihm dann obliegenden sekundären Behauptungslast zu seinem unternehmerischen Konzept, dessen Umsetzung und der Auswirkungen auf den Beschäftigungsbereich wahrheitsgemäß vortragen. Geschieht dies nicht, ist die streitige Kündigung ohne Weiteres sozialwidrig.
Normenkette
ZPO § 1 Abs. 5; KSchG § 138 Abs. 1-2
Verfahrensgang
ArbG Dortmund (Entscheidung vom 28.09.2010; Aktenzeichen 2 Ca 2162/10) |
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Dortmund vom 28.09.2010 - 2 Ca 2162/10 - abgeändert.
Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 26.04.2010 nicht aufgelöst wird.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen betriebsbedingten Kündigung.
Der am 15.05.1964 geborene Kläger ist seit dem 15.10.1990 als gewerblicher Arbeitnehmer auf Grundlage eines schriftlichen Arbeitsvertrages vom 14.08.1991, hinsichtlich dessen Einzelheiten auf Aktenblatt 5-8 Bezug genommen wird, beschäftigt. Er ist verheiratet und zwei minderjährigen sowie einem volljährigen Kind gegenüber zum Unterhalt verpflichtet. Sein durchschnittliches Bruttomonatseinkommen hat zuletzt 2.759,29 € betragen.
Die Beklagte ist ein Unternehmen der Metallindustrie. Sie hat zuletzt vor Ausspruch der streitgegenständlichen Kündigung ca. 700 Arbeitnehmer beschäftigt.
Im Juni 2009 trat die Beklagte an den Kläger heran und schlug ihm die Teilnahme an einer außerbetrieblichen Qualifizierungsmaßnahme aus einem von der Bundesagentur für Arbeit aufgelegten Förderungsprogramm "WeGebAU" (Weiterbildung Geringqualifizierter und beschäftigter Älterer in Unternehmen) vor. Zu diesem Zeitpunkt befand sich die Beklagte bereits in wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Kurzarbeit war angeordnet. Der Kläger war einverstanden und schloss einen Vertrag, der in der Zeit vom 03.08.2009 bis zum 22.07.2011 eine Umschulung zum Verfahrensmechaniker bei der D2 E1 K1 GmbH in H1 zum Gegenstand hatte. Nach Ablegung einer von der IHK anerkannten Abschlussprüfung war eine Weiterbeschäftigung des Klägers im Betrieb der Beklagten vorgesehen. Insgesamt nehmen 39 Arbeitnehmer der Beklagten an dieser Umschulungsmaßnahme teil.
Nachdem sich die wirtschaftliche Lage der Beklagten Anfang des Jahres 2010 weiter verschlechterte, schloss sie mit dem in ihrem Betrieb gebildeten Betriebsrat unter dem Datum vom 01.04.2010 einen Interessenausgleich, der u.a. einen Abbau bis zu 240 Personalstellen vorsieht. In diesem Interessenausgleich heißt es:
"...
Präambel
Aufgrund der seit Monaten anhaltenden Finanz- und Wirtschaftskrise und der damit in Zusammenhang stehenden massiven negativen Geschäftsentwicklung und Zukunftsprognosen bei der HSP im Hinblick auf die gesamtwirtschaftliche Lage müssen zeitnah einschneidende Restrukturierungs- und Sanierungsmaßnahmen eingeleitet werden, um das Überleben des Standortes zu sichern, vor allem aber, um die Sicherheit der verbleibenden Arbeitsplätze nachhaltig gewährleisten zu können.
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2.1 Maßnahmen
Aufgrund der starken Umsatzrückgänge und der nicht absehbaren Markterholung ist es erforderlich, die Organisationsstrukturen an die veränderten Bedarfe und Marktstrukturen anzupassen.
Zukünftig werden Hierarchieebenen abgebaut und so die Organisations- und Kommunikationsstrukturen verschlankt. Des Weiteren werden Abteilungen / Werke zusammengefasst, um innerbetriebliche Synergien zu heben. In einem ersten Schritt wird dabei das Press- und Ziehwerk zusammengelegt und die zentralen Dienste / Instandhaltung in die entsprechenden Bereiche integriert.
Zudem wird zur Anpassung der Kapazitäten ein Wechsel von Drei- auf Zwei-Schicht-Betrieb erfolgen. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass auch zukünftig die prognostizierten Mengen / Umsätze flexibel produziert werden können. Dies bedingt aber nachhaltige Steigerungen der Produktivitäten.
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Zur Unterstützung bei den anstehenden Veränderungen und Anpassungen sowie zur Sicherung aktuell bestehender Kompetenz und Qualität im Unternehmen, vereinbaren die Betriebsparteien, bei der Anpassung der Organisation auf deren Erhalt zu achten. Dies kann zukünftig dazu führen, dass höher qualifizierte Mitarbeiter auch entsprechend ihrer Qualifikation andere Tätigkeiten ausführen können und müssen.
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