Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesamtzusage als Anspruchsgrundlage. Versorgungszusage als Grundlage der Sicherung des bisherigen Lebensstandards
Leitsatz (redaktionell)
1. Eine Gesamtzusage ist eine an alle Arbeitnehmer oder an abgrenzbare Gruppen von Arbeitnehmern in allgemeiner Form gerichtete Erklärung des Arbeitgebers, zusätzliche Leistungen zu erbringen. Der Arbeitnehmer erwirbt dann einen einzelvertraglichen Anspruch auf diese Leistung, wenn er die vom Arbeitgeber genannten Anspruchsvoraussetzungen erfüllt.
2. Inwieweit eine Versorgungszusage den bisherigen Lebensstandard sichern will, hängt vor allem davon ab, welche Vergütungsbestandteile nach der konkreten Versorgungsordnung als versorgungsfähig bezeichnet werden. Das Versorgungsziel ist keine vorgegebene Größe, sondern ergibt sich erst durch Auslegung, bei welcher Wortsinn und Systematik im Vordergrund stehen.
3. Voraussetzung für eine ergänzende Vertragsauslegung ist, dass die Vereinbarung der Parteien eine Regelungslücke - eine planwidrige Unvollständigkeit - aufweist. Eine Regelungslücke liegt dann vor, wenn die Parteien einen Punkt übersehen oder wenn sie ihn zwar nicht übersehen, aber bewusst offengelassen haben, weil sie ihn im Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht für regelungsbedürftig gehalten haben, und wenn sich diese Annahme nachträglich als unzutreffend herausstellt.
Normenkette
TVG § 4 Abs. 3; BGB § 162 Abs. 1, § 241 Abs. 2, § 242
Verfahrensgang
ArbG Hagen (Westfalen) (Entscheidung vom 18.08.2021; Aktenzeichen 3 Ca 174-21) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Hagen vom 18.08.2021 (3 Ca 174/21) teilweise abgeändert.
Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, bei der Berechnung der Versorgungsansprüche des Klägers nach Maßgabe der Versorgungsordnung 1976 der A AG neben den jeweils maßgeblichen Entgelttabellen der dem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis vorhergehenden drei Jahre auch 32% der Tabellenbeträge der "Garantierten Individuellen Zulage" zugrunde zu legen.
Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, bei der Berechnung der Versorgungsansprüche des Klägers nach Maßgabe der Versorgungsordnung 1976 der A AG neben den jeweils maßgeblichen Entgelttabellen der dem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis vorhergehenden drei Jahre auch die Tabellenbeträge "Tariflicher Aufstockungsbetrag" zugrunde zu legen.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger ¼ und die Beklagte ¾.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Berücksichtigung nachträglich geschaffener tariflicher Gehaltskomponenten für die Bemessung betrieblicher Versorgungsbezüge.
Der am 07.06.1960 geborene Kläger ist seit dem 01.08.1977, zunächst im Rahmen eines Ausbildungsverhältnisses und nach erfolgreichem Abschluss seit dem 22.01.1981 bei der Beklagten, bzw. deren Rechtsvorgängerin, die A Kommunales B AG, beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden kraft beiderseitiger Tarifbindung die Bestimmungen der von der Beklagten bzw. ihrer Rechtsvorgängerin einerseits und der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di beziehungsweise der Gewerkschaft öffentliche Dienste, Transport und Verkehr geschlossenen Tarifverträge Anwendung. Der Kläger ist aktuell in die Tarifgruppe 15, der höchsten Tarifgruppe, eingruppiert und erzielte im Dezember 2020 ein Bruttomonatsgehalt in Höhe von 5.918,88 €, bestehend aus der Tabellenvergütung in Höhe von 4.808,00 €, einem tariflichen Aufstockungsbetrag in Höhe von 518,00 € und einer garantierten internen Zulage in Höhe von 553,00 € sowie dem Arbeitgeberanteil zu vermögenswirksamen Leistungen in Höhe von 39,88 €.
Mit Schreiben vom 19.02.1981 erteilte die Rechtsvorgängerin der Beklagten dem Kläger eine Versorgungszusage nach Maßgabe der Bestimmungen einer "Versorgungsordnung 1976". Bei der Versorgungsordnung 1976 (nachfolgend: "VO 76") handelt es sich um eine vom Vorstand der Rechtsvorgängerin der Beklagten erlassene Gesamtzusage, in der es - in der Fassung vom 18.12.1997 - unter anderem heißt:
" . . .
WERKSPENSION
§ 6 Beginn der Leistungen
1. Anspruch auf Werkspension haben Arbeitnehmer nach Vollendung des 65. Lebensjahres beim Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis zu A.
2. Anspruch auf Werkspension haben auch Arbeitnehmer, die vor Vollendung des 65. Lebensjahres aus dem Arbeitsverhältnis zu A ausscheiden und vorzeitig Altersrente (Vollrente) aus der gesetzlichen Rentenversicherung beziehen.
3. Anspruch auf Werkspension entsteht ferner beim Ausscheiden von Arbeitnehmern vor Vollendung des 65. Lebensjahres infolge Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit. Diese liegt vor, wenn Renten gemäß den Bestimmungen des SGB VI gewährt werden.
Wurde die Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit durch Dritte verschuldet, ist der Arbeitnehmer verpflichtet, seine Schadensersatzansprüche an A abzutreten, sofern nicht der Anspruch aufgrund vertraglicher oder sonstiger Bestimmungen an einen öffentlichen oder privaten Versicherungsträger übergegangen ist. Weiger...