Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesamtzusage als Anspruchsgrundlage. Vertragsauslegung bei einer Gesamtzusage zur Altersversorgung. Berücksichtigung neuerer Vergütungskomponenten bei einer Gesamtzusage. Ergänzende Vertragsauslegung bei planwidriger Regelungslücke. Teilweise Parallelentscheidung zu LAG Hamm 4 Sa 1460/21 und 4 Sa 322/22 v. 01.12.2022
Leitsatz (redaktionell)
1. Eine Gesamtzusage ist eine an alle Arbeitnehmer oder an abgrenzbare Gruppen von Arbeitnehmern in allgemeiner Form gerichtete Erklärung des Arbeitgebers, zusätzliche Leistungen zu erbringen. Der Arbeitnehmer erwirbt dann einen einzelvertraglichen Anspruch hierauf, wenn er die vom Arbeitgeber genannten Anspruchsvoraussetzungen erfüllt. Eine ausdrückliche Annahmeerklärung (§ 151 BGB) des in der Gesamtzusage enthaltenen Angebots des Arbeitgebers wird nicht erwartet.
2. Inwieweit eine Versorgungszusage den bisherigen Lebensstandard sichern will, hängt vor allem davon ab, welche Vergütungsbestandteile nach der konkreten Versorgungsordnung als versorgungsfähig bezeichnet werden. Das Versorgungsziel ist keine vorgegebene Größe, sondern ergibt sich erst durch Auslegung, bei welcher Wortsinn und Systematik im Vordergrund stehen.
3. Werden neue Vergütungskomponenten regelmäßig monatlich allein für die erbrachte Arbeitsleistung gezahlt und bestimmt sich deren Höhe abhängig von der jeweiligen Vergütungsgruppe und Entgeltstufe, unterscheiden sie sich in nichts von der "allgemeinen" Vergütungstabelle. Dies rechtfertigt es, davon auszugehen, dass diese Vergütungskomponenten im Wege der Auslegung der Versorgungsordnung zur Monatsvergütung zählen.
4. Voraussetzung für eine ergänzende Vertragsauslegung ist, dass eine vertragliche Vereinbarung eine Regelungslücke - eine planwidrige Unvollständigkeit - aufweist. Eine Regelungslücke liegt dann vor, wenn die Parteien einen Punkt übersehen oder zwar nicht übersehen, aber bewusst offengelassen haben, weil sie ihn im Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht für regelungsbedürftig gehalten haben, sofern sich diese Annahme nachträglich als unzutreffend herausstellt.
Normenkette
BetrAVG § 1; BGB §§ 133, 157, 162, 241 Abs. 2, § 242; TVG § 4 Abs. 3; BetrAVG § 5 Abs. 2; BGB § 151
Verfahrensgang
ArbG Iserlohn (Entscheidung vom 22.09.2021; Aktenzeichen 3 Ca 2335-20) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Iserlohn vom 22.09.2021 (3 Ca 2335/20) teilweise abgeändert.
Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, bei der Berechnung der Versorgungsansprüche des Klägers nach Maßgabe der Versorgungsordnung 1976 der A AG neben den jeweils maßgeblichen Entgelttabellen der dem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis vorhergehenden drei Jahre auch 32% der Tabellenbeträge der "Garantierten Individuellen Zulage" zugrunde zu legen.
Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, bei der Berechnung der Versorgungsansprüche des Klägers nach Maßgabe der Versorgungsordnung 1976 der A AG neben den jeweils maßgeblichen Entgelttabellen der dem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis vorhergehenden drei Jahre auch die Tabellenbeträge "Tariflicher Aufstockungsbetrag" zugrunde zu legen.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger ¼ und die Beklagte ¾.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Berücksichtigung nachträglich geschaffener tariflicher Gehaltskomponenten für die Bemessung betrieblicher Versorgungsbezüge.
Der am 15.05.1956 geborene Kläger war seit dem 01.08.1972, zunächst im Rahmen eines Berufsausbildungsverhältnisses und nach erfolgreichem Abschluss seit dem 26.01.1976 als Arbeitnehmer bei der Beklagten, bzw. deren Rechtsvorgängerin, der A Kommunales B AG (nachfolgend: A AG), beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete nach Auslaufen eines zum 01.02.2015 begründeten Altersteilzeitarbeitsvertrags mit Ablauf des 31.01.2020. Seit dem 01.02.2020 ist der Kläger Rentenempfänger. Die Beklagte zahlt ihm seit dieser Zeit eine monatliche Werkspension in Höhe von zunächst 263,65 €, die später mehrfach angepasst wurde.
Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit die seitens der A AG bzw. der Beklagten mit der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di und zuvor mit der Gewerkschaft ÖTV geschlossenen Haustarifverträge Anwendung. Der Kläger war zuletzt in die Tarifgruppe 11/Stufe 11 eingruppiert. Die für ihn maßgebliche tarifliche Tabellenvergütung im Ausscheidensmonat lag bei 3.814,00 €, eine Garantierte Individuelle Zulage bei 486,00 € und ein Tariflicher Aufstockungsbetrag bei 411,00 €.
Für den Kläger galt eine Versorgungszusage nach Maßgabe der Bestimmungen einer "Versorgungsordnung 1976" (nachfolgend: "VO 76"), einer vom Vorstand der A AG erlassenen Gesamtzusage.
Zum 01.01.2002 schloss sich die A AG mit der Stadtwerke C AG zusammen und firmierte seitdem unter der Firmenbezeichnung C AG. Aus diesem Anlass sicherte die A AG dem Kläger mit Schreiben vom 20.12.2001 (ABl. 37 - 38) noch einmal zu, dass sie i...