Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesamtzusage als Anspruchsgrundlage. Berücksichtigung neuer Vergütungskomponenten bei einer Gesamtzusage zur Altersversorgung. Kaufkrafterhaltung des betriebsrentenfähigen Entgelts. Ergänzende Vertragsauslegung bei nachträglich entstandener Regelungslücke. Teilweise Parallelentscheidung zu LAG Hamm 4 Sa 1199/21 und 4 Sa 1460/21 v. 01.12.2022
Leitsatz (amtlich)
1. Legt der Arbeitgeber in einer Versorgungszusage auf Grundlage einer Gesamtzusage fest, welche Vergütungskomponenten für die Errechnung der Versorgungsleistungen ruhegeldfähig sein sollen und welche nicht, kann die Vertragsauslegung ergeben, dass später auf tarifvertraglicher Grundlage geschaffene Vergütungskomponenten (hier: Garantierte Individuelle Zulage (GIZ) und Tariflicher Aufstockungsbetrag (TAB)) zum ruhegeldfähigen Arbeitseinkommen zählen, auch wenn die Parteien des Tarifvertrags dies ausgeschlossen haben.
2. Hat der Arbeitgeber den bei ihm beschäftigten Arbeitnehmern eine Versorgungszusage auf Grundlage einer Gesamtzusage erteilt, muss er bei Verhandlungen über den Abschluss von Haustarifverträgen nach §§ 241 Abs. 2, 242 BGB das Interesse der begünstigten Arbeitnehmer an einem Kaufkrafterhalt ihres betriebsrentenfähigen Entgelts berücksichtigen. Bei einer deutlichen Fehlentwicklung im Verhältnis zwischen ruhegeldfähigem Entgelt und nichtruhegeldfähigen Gehaltskomponenten kann dies in entsprechender Anwendung des § 162 BGB dazu führen, dass die benachteiligten Versorgungsberechtigten verlangen können, dass neu geschaffene Vergütungskomponenten bei der Berechnung der Versorgungsleistung zu berücksichtigen sind (hier bejaht).
Leitsatz (redaktionell)
1. Eine Gesamtzusage ist eine an alle Arbeitnehmer oder an abgrenzbare Gruppen von Arbeitnehmern in allgemeiner Form gerichtete Erklärung des Arbeitgebers, zusätzliche Leistungen zu erbringen. Der Arbeitnehmer erwirbt dann einen einzelvertraglichen Anspruch hierauf, wenn er die vom Arbeitgeber genannten Anspruchsvoraussetzungen erfüllt. Eine ausdrückliche Annahmeerklärung (§ 151 BGB) des in der Gesamtzusage enthaltenen Angebots des Arbeitgebers wird nicht erwartet.
2. Auch eine nachträglich entstandene Regelungslücke kann im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung geschlossen werden. An die Stelle der lückenhaften Klausel tritt bei der ergänzenden Vertragsauslegung diejenige Gestaltung, die die Parteien bei einer angemessenen Abwägung der beiderseitigen Interessen nach Treu und Glauben als redliche Vertragsparteien vereinbart hätten.
Normenkette
BetrAVG § 1; BGB §§ 133, 157, 162, 241 Abs. 2, § 242; TVG § 4 Abs. 3; BetrAVG § 5 Abs. 2; BGB § 151
Verfahrensgang
ArbG Iserlohn (Entscheidung vom 09.02.2022; Aktenzeichen 3 Ca 1147-21) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Iserlohn vom 09.02.2022 (3 Ca 1147/21) teilweise abgeändert.
Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, bei der Berechnung der Versorgungsansprüche des Klägers nach Maßgabe der Versorgungsordnung 1976 der A AG neben den jeweils maßgeblichen Entgelttabellen der dem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis vorhergehenden drei Jahre auch 32% der Tabellenbeträge der "Garantierten Individuellen Zulage" zugrunde zu legen.
Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, bei der Berechnung der Versorgungsansprüche des Klägers nach Maßgabe der Versorgungsordnung 1976 der A AG neben den jeweils maßgeblichen Entgelttabellen der dem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis vorhergehenden drei Jahre auch die Tabellenbeträge "Tariflicher Aufstockungsbetrag" zugrunde zu legen.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger ¼ und die Beklagte ¾.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Berücksichtigung nachträglich geschaffener tariflicher Gehaltskomponenten für die Bemessung betrieblicher Versorgungsbezüge.
Der am 14.04.1958 geborene Kläger ist seit dem 01.07.1984 als Arbeitnehmer bei der Beklagten, bzw. deren Rechtsvorgängerin, der A Kommunales B AG (nachfolgend: A AG), beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden unstreitig die mit der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di und zuvor mit der Gewerkschaft ÖTV geschlossenen Haustarifverträge Anwendung. Der Kläger ist aktuell in die Tarifgruppe 13/Stufe 11 eingruppiert und erzielte im Zeitpunkt der Klageerhebung im August 2021 eine tarifliche Tabellenvergütung in Höhe von 4.276,00 €, eine Garantierte Individuelle Zulage in Höhe von 525,00 € und einen Tariflichen Aufstockungsbetrag in Höhe von 498,00 €. Zum 01.01.2002 schloss sich die A AG mit der Stadtwerke C AG zusammen und firmiert seitdem unter der Firmenbezeichnung der Beklagten.
Für den Kläger galt eine Versorgungszusage nach Maßgabe der Bestimmungen einer "Versorgungsordnung 1976" (nachfolgend: "VO 76"), einer vom Vorstand der A AG erlassenen Gesamtzusage.
Die VO 76 in der Fassung vom 18.12.1997 bestimmt unter anderem:
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WERKSPENSION
§ 6 Beginn der Leistungen
1. Anspruch auf Werkspension h...