Entscheidungsstichwort (Thema)

Diskriminierung teilzeitbeschäftigter Wechselschichtarbeitnehmer durch Ausschluss von der Altersfreizeitregelung in § 2a Ziff. 1 MTV Chemie

 

Leitsatz (amtlich)

§ 4 Abs.1 TzBfG gebietet es, mit einer Wochenarbeitszeit von 35 Stunden und weniger teilzeitbeschäftigten Wechselschichtarbeitnehmern, die die Voraussetzungen von § 2a Ziff. 3 Abs. 2 MTV Chemie erfüllen, anteilig Altersfreizeit zu gewähren. Ihr Ausschluss aus der Altersfreizeitregelung ist nicht sachlich gerechtfertigt.

 

Normenkette

TzBfG § 4 Abs. 1; MTV Chemie § 2a Nr. 3 Abs. 3 Fassung: 2016-02-02, Nr. 1 Abs. 2 S. 2 Fassung: 2016-02-02; GG Art. 9 Abs. 3

 

Verfahrensgang

ArbG Gelsenkirchen (Entscheidung vom 21.11.2018; Aktenzeichen 3 Ca 1072/18)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Gelsenkirchen vom 21.11.2018 - 3 Ca 1072/18 - abgeändert und wie folgt neu gefasst.

Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger für 2018 Altersfreizeit gemäß § 2a des Manteltarifvertrags für die chemische Industrie vom 02.02.2016 in Höhe von 13,668 Freischichten zu gewähren.

Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger Altersfreizeit in Höhe von 18,224 Freischichten jährlich zu gewähren.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Gewährung von Altersfreizeit.

Der 1962 geborene Kläger ist seit dem 1. September 1977 bei der Beklagten beschäftigt. Er ist Schichtmeister im vollkontinuierlichen Wechselschichtbetrieb und erzielt ein Bruttomonatsentgelt von 7.200,00 Euro.

Die Parteien sind kraft Tarifbindung an den Manteltarifvertrag vom 24. Juni 1992 i.d.F. vom 2. Februar 2016 gebunden, den der Bundesarbeitgeberverband Chemie e.V. mit der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie schloss (im Folgenden MTV Chemie).

In § 2a Ziff. 1 MTV Chemie heißt es wie folgt:

Arbeitnehmer, die das 57. Lebensjahr vollendet haben, erhalten eine zweieinhalbstündige Altersfreizeit je Woche.

Soweit für Arbeitnehmer aufgrund einer Regelung nach § 2 I Ziffer 3 oder einer Einzelvereinbarung oder aufgrund von Kurzarbeit eine um bis zu zweieinhalb Stunden kürzere wöchentliche Arbeitszeit als die regelmäßige tarifliche wöchentliche Arbeitszeit gilt, vermindert sich die Altersfreizeit entsprechend. Liegt die Arbeitszeit um zweieinhalb Stunden oder mehr unter der tariflichen Arbeitszeit, entfällt die Altersfreizeit.

In § 2a Ziff. 3 heißt es wie folgt:

Arbeitnehmer in voll- oder teilkontinuierlicher Wechselschichtarbeit wie Arbeitnehmer in Zweischichtarbeit, wenn sie regelmäßig auch Spätschichten leisten, erhalten abweichend von Ziffer 1 bereits ab Vollendung des 55. Lebensjahres eine zweieinhalbstündige Altersfreizeit je Woche.

Für Arbeitnehmer in vollkontinuierlicher Wechselschichtarbeit, die das 55. Lebensjahr vollendet und mindestens 15 Jahre vollkontinuierliche Wechselschichtarbeit geleistet haben, erhöht sich die Altersfreizeit je Woche um eine Stunde auf dreieinhalb Stunden.

Ziffer 1 Abs. 2 gilt entsprechend.

Für Arbeitnehmer in voll- oder teilkontinuierlicher Wechselschichtarbeit sind die Altersfreizeiten zu Freischichten zusammenzufassen. Die Freischichten sind möglichst gleichmäßig verteilt in dem Verhältnis auf Früh-, Spät- und Nachtschichten zu legen, wie diese im Laufe des Kalenderjahres nach dem jeweiligen Schichtplan anfallen.

§ 2a Ziffer 6 enthält folgende Regelung:

Die Altersfreizeit entfällt, wenn der Arbeitnehmer am gleichen Tag aus einem anderen Grund, insbesondere wegen Urlaub, Krankheit, Feiertag oder Freistellung von der Arbeit nicht arbeitet. Macht der Arbeitnehmer von einer Altersfreizeit keinen Gebrauch, so ist eine Nachgewährung ausgeschlossen.

Wird auf Verlangen des Arbeitgebers eine Altersfreizeit aus dringenden betrieblichen Gründen nicht am vorgesehenen Tag gegeben, so ist sie innerhalb von drei Wochen nachzugewähren.

Gemäß § 2 Ziffer 2 Abs. 1 MTV Chemie beträgt für Wechselschichtarbeitnehmer in vollkontinuierlichen und teilkontinuierlichen Betrieben die regelmäßige tarifliche wöchentliche Gesamtarbeitsarbeitszeit ausschließlich der Pausen 37,5 Stunden.

In § 16 Ziffer 2 MTV Chemie haben die Tarifparteien eine Ausschlussfrist von drei Monaten nach Fälligkeit vereinbart, die durch Geltendmachung in Textform zu wahren ist.

Weiterhin gelten bei der Beklagten die Betriebsvereinbarung über das Schichtsystem (Bl. 147 - 153 d. A.) und die Betriebsvereinbarung über den Umgang mit Altersfreizeiten (Bl. 154 - 157 d. A.).

Der Kläger war in der Zeit vom 1. Januar 2012 bis zum 31. Dezember 2016 teilzeitbeschäftigt. In der Zeit vom 1. Januar 2017 bis zum 31. März 2018 erbrachte er die volle tarifliche Arbeitszeit. Die Beklagte gewährte ihm Altersfreizeit nach § 2a MTV Chemie.

Auf seinen Antrag vom 5. Januar 2018 bewilligte sie ihm mit Schreiben vom 1. Februar 2018 (Bl. 7 d. A.) eine Teilzeitbeschäftigung mit Wirkung ab dem 1. April 2018 mit einem Beschäftigungsprozentsatz von 82,84 % bei Verzicht auf zehn Ausgleichsschichten und Gewährung von 30 zusätzlic...

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