Entscheidungsstichwort (Thema)

Begriff der Diskriminierung wegen Teilzeitarbeit i.S. von § 4 Abs. 1 TzBfG

 

Leitsatz (amtlich)

Wenn Mitarbeiter mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 35 oder weniger Stunden anders als Vollzeitbeschäftigte und anders als Mitarbeiter mit einer Arbeitszeit zwischen 35 und 37,5 Stunden, die eine entsprechend reduzierte Altersfreizeit erhalten, überhaupt keine Altersfreizeit erhalten, stellt dies eine unzulässige Ungleichbehandlung wegen der Teilzeitarbeit im Sinne des § 4 Abs. 1 TzBfG dar (im Anschluss an LAG Düsseldorf 13.09.2016 - 14 Sa 874/15, juris).

 

Normenkette

BGB § 133; TzBfG § 4 Abs. 1; ZPO §§ 256, 259, 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2; MTV Chemische Industrie § 2a

 

Verfahrensgang

ArbG Solingen (Entscheidung vom 01.06.2018; Aktenzeichen 4 Ca 233/18 lev)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 22.10.2019; Aktenzeichen 9 AZR 71/19)

 

Tenor

  • I.

    Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Solingen vom 01.06.2018 - 4 Ca 233/18 lev abgeändert und festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger ab dem Montag, den 05.03.2018 zwei Stunden Altersfreizeit je Woche gemäß § 2a Ziffer 1 des Manteltarifvertrags der BAVC und der IG Bergbau, Chemie, Energie vom 24.06.1992 zu gewähren und zwar unter Berücksichtigung von Urlaub, Krankheit, Feiertag oder Freistellung gemäß § 2a Ziffer 6.

  • II.

    Die Kosten des Rechtsstreits werden der Beklagten auferlegt.

  • III.

    Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Gewährung von Altersfreizeit für den in Teilzeit beschäftigten Kläger.

Der am 19.12.1960 geborene Kläger war bei der Beklagten mit einem Bruttomonatsentgelt von zuletzt 3.058,00 Euro und einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 30 Stunden beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis fand der zwischen dem Bundesarbeitgeberverband Chemie und der Industriegewerkschaft Bergbau Chemie Energie geschlossene Manteltarifvertrag vom 24.06.1992 in der Fassung vom 02.02.2016 (nachfolgend MTV) Anwendung. Der MTV enthielt u. a. folgende Regelungen:

"§ 2

Regelmäßige Arbeitszeit

I.

Dauer und Verteilung der Arbeitszeit

1. Die regelmäßige tarifliche Arbeitszeit an Werktagen beträgt ausschließlich der Pausen 37,5 Stunden ...

3. Für einzelne Arbeitnehmergruppen oder mit Zustimmung der Tarifvertragsparteien für größere Betriebsteile oder ganze Betriebe kann im Einvernehmen zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat abweichend von der regelmäßigen tariflichen wöchentlichen Arbeitszeit eine bis zu 2 1/2 Stunden längere oder kürzere regelmäßige Arbeitszeit festgelegt werden. Die Arbeitnehmer haben Anspruch auf eine in der vereinbarten Arbeitszeit entsprechende Bezahlung.

...

§ 2a

Altersfreizeiten

1. Arbeitnehmer, die das 57. Lebensjahr vollendet haben, erhalten eine 2 1/2-stündige Altersfreizeit je Woche.

Soweit für Arbeitnehmer aufgrund einer Regelung nach § 2 Abs. 1 Ziffer 3 oder eine Einzelvereinbarung oder aufgrund von Kurzarbeit eine um bis zu 2 1/2 Stunden kürzere wöchentliche Arbeitszeit als die regelmäßige tarifliche wöchentliche Arbeitszeit gilt, vermindert sich die Altersfreizeit entsprechend. Liegt die Arbeitszeit um 2 1/2 Stunden oder mehr unter der tariflichen Arbeitszeit, entfällt die Altersfreizeit.

2. Die Lage der Altersfreizeiten kann zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat unter Beachtung des § 76 Abs. 6 BetrVG vereinbart werden. Vorrangig sollen Altersfreizeiten am Dienstag, Mittwoch oder Donnerstag gewährt werden.

Ist aus Gründen des Arbeitsablaufes eine Zusammenfassung der Altersfreizeiten zu freien Tagen erforderlich, können sich die Betriebsparteien hierauf einigen. Einigen sich Arbeitgeber und Betriebsrat nicht, so fallen die Altersfreizeiten auf den Mittwochnachmittag.

3. Arbeitnehmer in voll- oder teilkontinuierlicher Wechselschicht sowie Arbeitnehmer in Zweischichtarbeit, wenn sie regelmäßig auch Spätschichten leisten, erhalten abweichend von Ziffer 1) bereits ab Vollendung des 55. Lebensjahres eine 2 1/2-stündige Altersfreizeit je Woche. Für Arbeitnehmer in vollkontinuierlicher Wechselschichtarbeit, die das 55. Lebensjahr vollendet und mindestens 15 Jahre vollkontinuierliche Wechselschichtarbeit geleistet haben, erhöht sich die Altersfreizeit je Woche um eine Stunde auf 3 1/2 Stunden.

Ziffer 1) Abs. 2 gilt entsprechend.

Für Arbeitnehmer in voll- oder teilkontinuierlicher Wechselschichtarbeit sind die Altersfreizeiten zu Freischichten zusammen zu fassen. Die Freischichten sind möglichst gleichmäßig verteilt in dem Verhältnis auf Früh-, Spät- und Nachtschichten zu legen, wie diese im Laufe des Kalenderjahres nach dem jeweiligen Schichtplan anfallen.

4. Arbeitnehmer, deren höchstens 24-stündige Anwesenheitszeit im Betrieb sich unterteilt in Arbeit, Arbeitsbereitschaft und Bereitschaftsruhe, erhalten nach dem vollendeten 57. Lebensjahr möglichst gleichmäßig verteilt jährlich acht weitere 24-stündige Freizeiten als Altersfreizeiten.

5. Für die Arbeitszeit, die infolge einer Altersfreizeit ausfällt, wird das Entgelt fortgezahlt, das der Arbeitnehmer erhalten hätte, wenn er gearbeitet hätte, e...

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