Entscheidungsstichwort (Thema)
Außerordentliche Kündigung eines Arbeitsverhältnisses eines stellvertretenden Marktleiters eines Lebensmittelmarkts wegen sexueller Belästigung einer Mitarbeiterin
Leitsatz (redaktionell)
1. Stellt ein Verhalten eine sexuelle Belästigung eines Mitarbeiters am Arbeitsplatz dar (hier: offen gelassen), so berechtigt dies nicht in jedem Fall zur außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Vielmehr ist zunächst zu prüfen, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist.
2. Für den Fall, dass die Vertragsverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers beruht, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann. Ordentliche und außerordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzen deshalb regelmäßig eine Abmahnung voraus. Eine Kündigung ist jedenfalls dann unverhältnismäßig, wenn dem Arbeitgeber angemessene arbeitsrechtliche Maßnahmen wie Abmahnung, Umsetzung oder Versetzung zur Verfügung stehen.
Normenkette
AGG § 3 Abs. 4; BGB § 626 Abs. 1; KSchG § 1 Abs. S. 2; AGG § 12 Abs. 3; KSchG § 9 Abs. 1 S. 2
Verfahrensgang
ArbG Bochum (Entscheidung vom 07.10.2015; Aktenzeichen 5 Ca 1378/15) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bochum vom 07.10.2015 - 5 Ca 1378/15 - wird unter Abweisung des Auflösungsantrags der Beklagten kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die rechtliche Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise fristgerechten Arbeitgeberkündigung.
Der 56-jährige Kläger ist seit August 2013 bei der Beklagten als Bezirksleiter im Außendienst beschäftigt, zuletzt zu einem Bruttomonatsentgelt von 2.875,00 Euro. Die Tätigkeit des Klägers besteht hauptsächlich in der Betreuung der im Großraum E ansässigen Kunden der Beklagten, vornehmlich Lebensmittelmärkte.
Am 12.06.2015 besuchte der Kläger den Kunden L in P. Dort arbeitet als stellvertretende Marktleiterin Frau H, eine junge Frau mit geringer Körpergröße. Im Rahmen dieses Kundenbesuchs soll der Kläger die Mitarbeiterin H verbal sexuell belästigt haben.
Am 13.06.2015 wandte sich Frau H mittels schriftlicher Beschwerde an die Beklagte und teilte dieser mit, der Kläger habe sie sexuell belästigt.
Es heißt in der Beschwerde auszugsweise:
"Herr T war am 12.06.2015 in unserer Filiale in P. Er fragte mich, ob wir noch Retouren hinten im Lager haben. Als ich ihm sagte, dass ich kurz nachsehen gehe, wollte er mit gehen. Ich sagte zu ihm, dass ich alleine nachsehe, da es ziemlich eng im Lager ist. Daraufhin sagte er, dass er es nicht schlimm fände, weil er es bei jungen Frauen auch möge, wenn es eng ist. Ich war sehr erschrocken von seiner Aussage und konnte dazu nichts mehr erwidern. Auf dem Weg zur Information sagte er zu mir, er findet kleine Frauen toll und meinte, ich sei ja auch klein. ......Dann fragte er mich, ob ich verheiratet sei. Ich sagte ja, obwohl es eigentlich nicht stimmt. Ich dachte mir, bevor noch irgendwelche anderen sexuellen Andeutungen kommen. Darauf antwortete er, ja weil er noch zwei Söhne hätte."
Für die weiteren Einzelheiten des Beschwerdeschreibens wird verwiesen auf Blatt 55 d. A.
Der Geschäftsführer der Beklagten, Q, begab sich am 16.06.2015 in den Markt, wo Frau H ihm die Vorkommnisse entsprechend ihrer Beschwerde schilderte. Der Kläger stritt in einem am selben Tag mit ihm geführten Personalgespräch den Vorwurf der sexuellen Belästigung ab.
Mit Schreiben vom 17.06.2015, dem Kläger am 19.06.2015 zugegangen, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zu dem Kläger außerordentlich, hilfsweise fristgerecht zum 31.07.2015.
Mit seiner am 06.07.2015 beim Arbeitsgericht eingegangenen Feststellungsklage hat sich der Kläger gegen die Wirksamkeit der Kündigung zur Wehr gesetzt.
Er hat einen zur Kündigung berechtigenden Grund nicht für vorliegend gehalten. Die inhaltliche Darstellung in der Beschwerde der Frau H sei nicht zutreffend. Hierzu hat der Kläger behauptet, er habe auf die Mitteilung der Frau H, im Lager sei es eng, lediglich erwidert, dass ihm Enge nichts ausmache. Hiermit sei der Aufenthalt seiner Person mit jungen Frauen in einem räumlich beengten Raum zu verstehen gewesen. Er habe bei dem gemeinsamen Weg durch den Verkaufsbereich gegenüber Frau H erklärt, "Sie sind aber auch ne Nette", was Frau H mit "Ich bin aber etwas klein" beantwortet habe. Er habe daraufhin entgegnet, "Die meisten Männer stehen doch auf kleine Frauen; ich übrigens auch". Frau H habe daraufhin ein Lächeln gezeigt. Die Frage, ob Frau H schon vergeben sei, sei erfolgt, da er noch zwei Söhne "im Angebot habe, die solo sind". Dies habe er der Frau H auch mitgeteilt, die nach dieser Bemerkung ebenfalls gelächelt habe.
Die außerordentliche Kündigung verstoße gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz; es hätte zuvor der Erteilung einer Abmahn...