Entscheidungsstichwort (Thema)
Widersprüchliche Kündigung nach "einwandfreiem" Zwischenzeugnis. Grobes Fehlverhalten am Tag der Zeugniserteilung als fristloser Kündigungsgrund
Leitsatz (amtlich)
Erteilt der Arbeitgeber einem Arbeitnehmer ein Zwischenzeugnis, in welchem er diesem bescheinigt, "Sein Verhalten gegenüber Vorgesetzten und Kollegen ist immer einwandfrei"; verhält er sich widersprüchlich, wenn er ihm am Folgetag wegen eines angeblichen groben Fehlverhaltens am Tag der Zeugniserteilung vor dessen Erstellung fristlos, hilfsweise ordentlich kündigt.
Normenkette
BGB §§ 242, 626; KSchG § 1 Abs. 2; ZPO § 97 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Bocholt (Entscheidung vom 30.09.2021; Aktenzeichen 3 Ca 210/21) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bocholt vom 30. September 2021 (3 Ca 210/21) wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung der Beklagten vom 11. Februar 2021.
Der am 16. Januar 0000" geborene, kinderlos verheiratete Kläger arbeitet seit dem 11. Juli 2012 bei der Beklagten gegen einen Bruttolohn von zuletzt 12,50 Euro und einer regelmäßigen Arbeitszeit von 40 Stunden wöchentlich als Mitarbeiter in der Produktion. Die Beklagte beschäftigt regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer. Ein Betriebsrat besteht nicht.
Die Beklagte kündigte erstmals unter dem 8. April 2015 außerordentlich wegen eines aus ihrer Sicht nicht hinnehmbaren Verhaltens des Klägers gegenüber ihrem Geschäftsführer am 2. April 2015, weil trotz mehrfacher Aufforderung der Kläger sich geweigert habe, an seinen Arbeitsplatz zurückzukehren. Nachdem sich die Parteien außergerichtlich auf eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses geeinigt hatten, nahm der Kläger seine Kündigungsschutzklage am 19. November 2015 zurück.
Noch während dieses Kündigungsschutzverfahrens erhielt der Kläger eine Abmahnung vom 13. August 2015 wegen einer angeblichen Beleidigung seines Vorgesetzten (Bl. 24 d. A.). Des Weiteren erklärte die Beklagte unter dem 14. Januar 2019 eine Abmahnung, in welcher sie dem Kläger die zu späte Einreichung einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung am 8. Januar 2019 für eine Arbeitsunfähigkeit am 3. und 4. Dezember 2018 vorwarf (Bl. 25 d. A.). Am 21. Oktober 2019 stellte die Beklagte eine erneute Abmahnung aus mit dem Vorwurf, der Kläger habe sich am 17. Oktober 2019 nicht an die Abmeldepflicht zu Schichtbeginn gehalten, nachdem er nicht um 15:00 Uhr, sondern erst um 17:30 Uhr zur Arbeit erschienen war (Bl. 26 d. A.).
Am 10. Februar 2021 kam es zwischen dem Kläger und dem Geschäftsführer der Beklagten zu Auseinandersetzungen zum einen über die korrekte Aufzeichnung von Arbeitszeiten, zum anderen über die Erteilung eines Zwischenzeugnisses. Einzelheiten, insbesondere in Bezug auf das Verhalten des Klägers in diesen Gesprächen sind zwischen den Parteien streitig. Am Mittag des 10. Februar 2021 gegen 12:00 Uhr erteilte die Beklagte dem Kläger ein Zwischenzeugnis (Bl. 38 d. A.) und gewährte ihm auf seinen Antrag hin für den restlichen Tag Urlaub. Bei der Übergabe erklärte der Geschäftsführer der Beklagten, der Kläger könne sich ja mit seinem Zwischenzeugnis bewerben. Der Kläger erwiderte, dass er das Zeugnis nur für seine Unterlagen haben wolle. Das Zwischenzeugnis enthält folgende Leistungs- und Verhaltensbeurteilung:
Herr A. hat sich schnell in den Bereichen eingearbeitet. Er erledigt die ihm übertragenen Arbeiten stets zu unserer vollsten Zufriedenheit. Sein Verhalten gegenüber Vorgesetzten und Kollegen ist immer einwandfrei.
Mit Schreiben vom 11. Februar 2021 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos, hilfsweise ordentlich zum 31. Mai 2021.
Der Kläger bestreitet die Vorwürfe aus den Abmahnungen vom 13. August 2015, 14. Januar 2019 und 17. Oktober 2019. Die erste Abmahnung habe sich zudem wie die Kündigung vom 8. April 2015 durch die Einigung über die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erledigt. Die letzte Abmahnung sei zu unbestimmt. Am 10. Februar 2021 habe der Kläger den Geschäftsführer der Beklagten auf seine Arbeitszeiten angesprochen, weil sein Zeitkonto mit Minusstunden belastet worden sei, welche er nicht habe nachvollziehen können. Er habe den Geschäftsführer weder beleidigt noch strafbares Verhalten vorgeworfen. Auf das Zwischenzeugnis habe der Kläger den Geschäftsführer bereits im September 2020 angesprochen und sei hingehalten worden. Das habe er dem Geschäftsführer auch so erklärt. Er habe nicht gedroht, seine Arbeitsleistung bis zur Erteilung einzustellen, sondern sei an seinen Arbeitsplatz zurückgekehrt. Auch habe er seinen Mundschutz getragen. Die Vorwürfe würden jedenfalls nicht ausreichen, um eine Kündigung zu rechtfertigen.
Der Kläger hat beantragt,
- festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die außerordentliche fristlose noch durch die hilfsweise ordentliche Kündigung der Beklagten vom 11. Februar 2021 aufgelöst worden ist,
- hilf...