Entscheidungsstichwort (Thema)

Bezugnahme. Günstigkeitsprinzip. Tarifbindung. Tarifvertrag. Tarifzsukzession. BT. TVöD

 

Leitsatz (amtlich)

1. Vereinbaren die Arbeitsvertragsparteien die Anwendung eines Tarifwerks auf das Arbeitsverhältnis, an das der Arbeitgeber nicht gemäß § 3 Abs. 1 TVG gebunden ist, und gilt später ein weiterer Tarifvertrag kraft Tarifbindung beider Arbeitsvertragsparteien, bestimmt sich die Anwendbarkeit der jeweiligen tariflichen Regelungen nach dem Günstigkeitsprinzip aufgrund eines sachgruppenbezogenen Günstigkeitsvergleichs. Das Spezialitätsprinzip findet keine Anwendung.

2. Die Absicht des Arbeitgebers, durch Aufnahme einer kleinen dynamischen Verweisungsklausel auf ein Tarifwerk, an das es nicht gemäß § 3 Abs. 1 TVG gebunden ist, in einen Formulararbeitsvertrag einheitliche Arbeitsbedingungen zu schaffen, rechtfertigt es nicht, diese dahin auszulegen, dass im Falle des Abschlusses eines Haustarifvertrages durch den Arbeitgeber nunmehr dieser Anwendung findet.

3. Wird in einem Arbeitsvertrag vereinbart, dass der Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) und die diesen ergänzenden oder ändernden Tarifverträge auf das Arbeitsverhältnis Anwen-dung finden, wird bei einem nicht tarifgebundenen Arbeitgeber dieses Tarifwerk nicht im Wege der Tarifsukzession von dem Tarifwerk des Tarifvertrags für den Öffentlichen Dienst (TVöD) ersetzt.

 

Normenkette

TVG §§ 3-4

 

Verfahrensgang

ArbG Hagen (Westfalen) (Urteil vom 21.08.2008; Aktenzeichen 4 Ca 916/08)

 

Nachgehend

BAG (Aktenzeichen 9 AZR 144/10)

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Hagen vom 21. August 2008 (4 Ca 916/08) abgeändert.

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 332,34 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 30. April 2008 zu zahlen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Zahlung von Urlaubsgeld nach dem Tarifvertrag über ein Urlaubsgeld für Angestellte vom 16. März 1977 (TV Urlaubsgeld BAT).

Die Klägerin ist seit dem 1. Juni 1980 bei der Beklagten als Arzthelferin beschäftigt. Grundlage ist ein schriftlicher Arbeitsvertrag vom 29. April 1980, dessen § 2 folgende Bestimmung enthält:

Das Arbeitsverhältnis bestimmt sich nach dem Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) vom 23. Februar 1991 und den diesen ergänzenden oder ändernden Tarifverträgen.

Die Klägerin wurde zuletzt vergütet nach Vergütungsgruppe V c BAT bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 38,5 Stunden. Sie ist seit dem 1. Juli 2006 Mitglied der Gewerkschaft ver.di.

Die Beklagte betreibt in der Rechtsform einer gemeinnützigen Gesellschaft mit beschränkter Haftung den Blutspendedienst des D5 in Nordrhein-Westfalen. Die Beklagte war nie tarifgebunden, insbesondere auch nicht an die von der Bundestarifgemeinschaft des D5 abgeschlossenen Tarifverträge. Nachdem der BAT durch den Tarifvertrag für den Öffentlichen Dienst (TVöD) abgelöst worden war, schloss die Beklagte am 31. Oktober 2006 mit der DHV (Deutscher Handels- und Industrieangestellten-Verband, jetziger Name: DHV-Die Berufsgewerkschaft) einen Haustarifvertrag (im Folgenden: DHV-Haustarifvertrag) ab. Mit einem an alle Beschäftigten gerichteten Schreiben vom 2. November 2006 teilte die Beklagte Folgendes mit:

Sehr geehrte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter,

die Geschäftsführung des D5-Blutspendedienstes West hat einen Tarifabschluss erwirkt, der zum einen die berechtigten Erwartungen aller Teile der Belegschaft, die individuelle Existenzsicherung durch Tarifsicherheit ohne Einkommensverluste garantiert und auf der anderen Seite die Möglichkeit eröffnet, das Gesamtunternehmen und dessen Wettbewerbsfähigkeit auch unter den sich rapide ändernden Rahmenbedingungen des Gesundheitswesens langfristig zu sichern.

Die vielen Vorteile des neuen Tarifsystems entnehmen Sie bitte der beigefügten Broschüre, in der sie den Volltext aller Tarifvereinbarungen nebst Anlagen abgedruckt finden.

Ihr tatsächliches künftiges Gehalt unter der Annahme der Anwendung dieses Tarifwerks entnehmen Sie bitte der beigefügten MusterAbrechnung, die Ihnen aufzeigen soll, wie sich Ihr künftiges Gehalt zusammensetzt, wenn Sie sich für diesen Tarif entscheiden.

Zur Vorbereitung einer Informationsveranstaltung am 10. November 2006 übersandte die Beklagte ihren Beschäftigten ein sogenanntes Informationspaket mit Schreiben vom 8. November 2006, wobei sie Folgendes mitteilte:

Sehr geehrte …,

da wir im Vorfeld der Informationsveranstaltung am 10. November in H3 nicht mit 100%iger Sicherheit gewährleisten konnten, dass jeder Mitarbeiterin und jedem Mitarbeiter das umfangreiche und persönliche Informationspaket auch tatsächlich zugeht, möchten wir es Ihnen auf diesem postalischen Weg nochmals zukommen lassen.

Bitte bedenken Sie bei Ihrer Entscheidung, dass entgegen anders lautender Mitteilungen selbstverständlich jede/r Mitarbeiter/in, unabhängig davon, ob sie/er in einer Gewerkschaft organisiert ist und wenn ja in welcher, sie/er selbs...

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